Doris Dörrie: Vom Kochen und der Lebensfreude

Der weltweit geschätzte Zen-Lehrer Edward Espe Brown verbindet Kochen mit der Zen-Lehre. Im Film How To Cook Your Life begleitet die Filmemacherin Doris Dörrie den mehrfachen Kochbuchautoren bei seinen Kochkursen.

„Ein Teil der richtigen und tiefen Freude, die im Leben überhaupt möglich ist, kommt von der Verbindung mit dem Essen und dem Atem“ sagt Edward Espe Brown, der in Fairfax (Kalifornien) lebt. Doris Dörrie hat mit einem kleinen Kamerateam in seinen Kochkursen in Niederösterreich und Kalifornien gefilmt. Edward Espe Brown wurde von Suzuki Roshi zum Zen-Priester geweiht. Neben seinen Meditations- und Kochkursen, lehrt er an den drei Zen-Zentren in San Francisco.

Suzuki Roshi, Lehrer von Edward E. Brown, kam in den 60er Jahren von Japan nach San Francisco und gründete in Tassajara (Kalifornien) ein Zen-Center. Suzuki Roshi steht in der Tradition von Meister Dogen, der im 13. Jahrhundert den Buddhismus aus China nach Japan brachte. In der Küche in Tassajara wird noch heute jeden Morgen der alte Text von Meister Dogen, der Tenzokyokun Instructions for the Cook, gesungen: „Wenn du Reis wäschst, wasche den Reis. Vergeude kein einziges Reiskorn. Behandle Lebensmittel wie dein Augenlicht. Bemühe dich aufrichtig und verpasse deine Chance nicht, das Leiden zu verringern, anstatt es zu vermehren.“

Christine Weissbarth: Wie haben Sie Edward Brown kennengelernt?
Doris Dörrie: Ich habe in Tessajara (ein Zen-Zentrum in San Francisco, A.d.R.) in einem Filmworkshop unterrichtet. Zur gleichen Zeit lief Edward’s Klasse, in die ich mich reingeschummelt habe, weil ich sehen wollte, was er da macht. Ich war sofort begeistert, ebenso meine Tochter, die damals 16 Jahre alt war. Was mich wirklich überzeugt hat, war, dass er auch Teenager erreicht, die keinen Zen-Hintergrund haben. So dachte ich, es wäre schön, wenn das, was Edward unterrichtet, auch anderen Leuten zugänglich wäre. Ich halte seine Kurse für sehr außergewöhnlich, und habe ihn gleich dort gefragt, ob er Lust hätte, in einem Film mitzumachen.

Sie praktizieren Kochen als Zen-Praxis. Buddhismus in der Küche – wie sieht das ganz praktisch in Ihren Kochkursen aus?
Edward Espe Brown: Eine der wichtigsten Aspekte im Buddhismus ist es, alles bewusster anzuschauen, ohne zu bewerten, ohne in gut und böse, in richtig und falsch einzuordnen. In meinen Kochkursen fordere ich die Teilnehmer auf zu schmecken, was sie essen. Anfangs fragen sie, wonach es schmecken soll, weil die Menschen denken, es sollte so oder anders schmecken. Sie können sich nicht darauf einlassen, es einfach zu schmecken und es dabei zu belassen. Es ist also sehr wichtig, Dinge zu erfahren, wie sie wirklich sind, und nicht, wie man meint, dass sie sein sollten. Dann können wir uns am Essen erfreuen, so wie es ist und uns damit gut ernähren. Und das muss man nicht Buddhismus nennen: „Schmecke einfach, was du in den Mund nimmst und erfreue dich am Essen.“

Was haben Sie in dem Kochkurs von Edward Brown gelernt?
Doris Dörrie: Ich habe gesehen, wie wichtig es auch für Jugendliche ist, Kochtechniken zu lernen und anwenden zu können. Ich habe natürlich schon mit meiner Tochter zusammen Plätzchen gebacken und einfache Gerichte gekocht. Jedoch habe ich nun erfahren, was es für Jugendliche bedeutet, wenn sie fünf verschiedene Obstkuchen backen können. Wieviel Selbstwert sie daraus ziehen, wenn sie für andere kochen. Ich glaube, dass das etwas sehr Wichtiges ist. Sicherlich habe ich zum Teil die Gelegenheit verpasst, meiner Tochter diesbezüglich etwas beizubringen, ebenso wie ich es versäumt habe, von meiner Mutter viel zu lernen, die sehr viel besser kochen kann als ich. Mir kommt vor, als wären wir an einem historischen Zeitpunkt angelangt. Frauen wie ich haben in der Vergangenheit wenig Aufmerksamkeit darauf gelenkt, Kochtraditionen zu bewahren, Rezepte unserer Mütter und Großmütter zu erlernen und weiterzugeben. Wenn wir das nicht tun, ist wirklich innerhalb von hundert Jahren alles verloren.

Worum fürchten Sie dabei?
Doris Dörrie: Was soll denn meine Tochter dann noch weitergeben? Es ist dann weg. Ich sehe schon jetzt, was das in Amerika bedeutet. Ich kenne dort viele junge Frauen, die nicht mal ein Spiegelei braten können. Das bedeutet auch, einen Teil von sich selbst zu verlieren und ein Sich-Ausliefern an andere, die es für einen tun müssen. Ich finde das sogar bedrohlich, wenn man so ein Stück Autarkie hergibt. Wenn man diese Fähigkeit wieder erlernt, kann man sich selber auch wieder mehr in Besitz nehmen. Man gehört sich mehr und man gehört auch wieder mehr zu dem Stückchen Erde, auf dem man wohnt. Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns fragen, was jetzt gerade auf diesem Plätzchen Erde, auf dem wir uns befinden, wächst – bestimmt keine Melonen, Ananas und Bananen. Ob das so gut ist, dass man dies alles herfliegt und das Öl in die Luft bläst? Die Beschäftigung mit dem Kochen führt schnell zu diesen kritischen Fragen.

Sie kochen nun öfter mit Ihrer Tochter zusammen. Was bedeutet das für Ihre Beziehung?
Doris Dörrie: Man darf sich nicht erwarten, dass sich alles verändert, nur weil man mal ein bisschen kocht. In dem Moment des Tuns ist es schön, es entstehen vielleicht auch andere Gespräche, man verbringt Zeit anders miteinander. Meine Tochter ist ein Teenager, sie muss erst mal sehen, was sie selber lustig findet. Aber ab und zu die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen, wenn sie da ist und wir gerade hungrig sind, uns aus den vorhandenen Lebensmitteln etwas zu kochen, ist schon wichtig. Oder man geht gemeinsam zum Einkaufen, um danach zu kochen – bloß keine großen Pläne machen.

Wonach suchen die Menschen, die Ihre Kurse besuchen und wie können Sie Ihnen helfen?
Edward Espe Brown: Wir meditieren und erheben den Anspruch, uns daraus eine gute Erfahrung zu holen. Mein Lehrer Suzuki Roshi pflegte zu sagen: „Achte auf jeden Atemzug.“ Es ist also wichtig, seinen Atem anzunehmen, wie er ist, und nicht zu meinen, der Atem müsste länger, kürzer, tiefer oder ruhiger sein. Es gibt ein Wissen in dir, das dir sagt, wie dein Atem ist, wie du entspannst. Seit vielen Jahren versuche ich, mit meiner Arbeit den Menschen zu helfen, sie selbst zu werden und ihnen zu zeigen, wie sie es gut machen können. Ich kommandiere sie nicht herum und sage ihnen, sie sollen dies oder jenes machen. Den inneren Wert der Menschen zu schätzen und ihn zum Vorschein zu bringen, das ist die Aufgabe. Ebenso können wir den Wert aller Dinge entdecken, ob das jetzt Radieschen, Karotten oder Kartoffeln sind; einfach zu schätzen, was sie sind und einfach das zu sehen, was gut ist. Nehmen wir eine Kartoffel, so ist es wichtig, die Kartoffel als solche anzunehmen – helfen Sie ihr zu wachsen. Eine Kartoffel möchte nur eine Kartoffel sein und sonst nichts. Ich versuche nicht, aus der Kartoffel einen Wolkenkratzer zu machen.

Seit fünfzehn Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Buddhismus. Warum haben Sie sich für den Zen-Buddhismus entschieden und nicht für eine andere Richtung wie zum Beispiel den Tibetischen Buddhismus?
Doris Dörrie: Da ich in der protestantischen Religion aufgewachsen bin, sagt mir vermutlich Zen mehr zu, weil es kühler und nüchterner ist. Der tibetische Buddhismus ist sehr viel bildgewaltiger und opulenter, auch sehr viel ritualisierter als Zen-Buddhismus. Es ist eine innere Entscheidung, was einem mehr zusagt. Zen ist ganz unaufheblich: aufs Kissen setzen, Klappe halten und atmen. Viel mehr ist es nicht.

Wie sieht das praktisch aus? Wie können Sie als vielbeschäftigte Frau die Meditation in Ihr Leben integrieren?
Doris Dörrie: Indem ich mich auf mein Kissen setze. Das Kissen liegt bei mir immer als Aufforderung da. Natürlich schaffe ich das oft nicht. Immer wieder versuche ich mich – bei allem, was ich tue – zur Achtsamkeit aufzurufen, wie z.B. jetzt: wenn ich ein Interview gebe, gebe ich ein Interview. Und das kann man auf jede Tätigkeit beziehen. Außerdem mache ich zwischendurch Gehmeditation, auch am Drehort. Ich versuche, mir selber immer wieder einen Schneckenmodus zu verordnen, also immer wieder langsam zu werden und anzuhalten. Das gelingt mir aber nur bedingt. Der Weg in die Küche ist eine solche Möglichkeit – in Achtsamkeit eine Karotte zu schneiden ist unter Umständen nicht so weit entfernt von der Meditation.

Suzuki Roshi war Ihr Lehrer. Wie wichtig ist ein guter Lehrer?
Edward Espe Brown: Ein Lehrer hilft einem dabei, den Lehrer in sich selbst zu finden, ebenso wie er hilft, dem Teil in Einem zu begegnen, der ein guter Schüler ist. Man lernt, indem man sein Herz, seine Seele für die Welt öffnet.

Interview aus der Zeitschrift Ursache und Wirkung, Österreich