Interviews

An dieser Stelle erscheinen in loser Folge Interviews des inzwischen leider verstorbenen Dr. Lothar Konietzka, von Galina Antoschewskaja und weiteren Journalistinnen und Journalisten.

Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie

Dieses Interview führte Christine Weissbarth mit den Filmemachern Peter Keller und Stefan Sarazin für den Filmdienst.

Nicht ganz koscher – eine göttliche Komödie erhielt den One-Future-Preis 2022 und den Produzentenpreis beim Bayerischen Filmpreis 2022.

Christine Weissbarth: Könnten Sie in einigen Sätzen die Grundgeschichte erzählen?

Stefan und Peter: Benyumin, ultraorthodoxer Jude aus Brooklyn auf historischer Mission nach Alexandria (und auf der Flucht vor dem Heiratsvermittler), strandet in der Wüste Sinai, wo ihn Adel, ein mürrischer Beduine auf der Suche nach seinem Kamel, aufliest. Aber damit fangen die Probleme erst an.

Wie kamen Sie auf Idee, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

Stefan: Ich hatte in den Neunzigerjahren ein Faible für al-Andalus und die Lehren von Ibn Ruschd und auch sonst nie verstanden, warum man sich wegen dem einen Gott die Köpfe einschlägt. Denn entweder ist „ER“ „der Eine“ – oder er ist „der Keine“.

Als dann mein erster Kino-Film Nitschewo, ein Melodram, 2001 kommerziell total floppte, zog ich mich in den Sinai zurück. Dort befreundete ich mich mit einem Beduinen namens Adel, den ich über die Jahre immer wieder besuchte, und der eine ungewöhnlich milde Einstellung gegenüber Israel und den Juden hatte. Da beschloss ich etwas darüber zu schreiben, und zwar eine Komödie, die das Leben feiert, also so ziemlich das Gegenteil meines vorigen Filmes. Lange Zeit blieb das so eine Art „Alexis Zorbas“-Story zwischen einem Beduinen und einem weltfremden amerikanischen Juden, die allerdings nie so recht vom Fleck kam, auch dann nicht, als ich aus dem New Yorker Juden einen Ultraorthodoxen machte.

2006, als ich von einer Reise nach Alexandria wieder zurückkehrte und einer guten Freundin, mit der ich mich schon öfters über die Geschichte ausgetauscht hatte, von meinem Besuch in der dortigen Synagoge erzählte, und dass dort nur noch eine Handvoll Gemeindemitglieder übrig waren, die keinen Gottesdienst mehr feiern konnten, kam dann endlich Bewegung in die Geschichte. Besagte Freundin, sie heißt Freyja Weinert, gepriesen sei ihr Name, hatte kurz darauf nämlich eine „göttliche“ Eingebung, indem sie meinte, „mein Jude“ könnte doch als der fehlende zehnte Mann durch die Wüste nach Alexandria gehen müssen. Das war die entscheidende Wendung, auf der die Geschichte basierte, die ich in den Jahren darauf zusammen mit Peter Keller zu einem Drehbuch formte.

Wie fing die Faszination für diese Region bei Ihnen an?

Stefan: Ich kannte die Gegend aus meiner Filmhochschulzeit, als ich 1991 einen Studenten Werbespot für Mercedes in der Wüste Negev drehte. Die Hauptrolle darin spielten schon damals neben einem klapprigen Benz ein Beduine und ein Kamel…

Von der Idee bis zum Film dauerte es über 15 Jahre. Welche Schwierigkeiten gab es bei der Projektentwicklung und beim Dreh? Sie haben ja bereits 2011 den Bayerischen Filmpreis für das Drehbuch bekommen. Warum dauerte es danach noch so lange, bis schließlich der Film entstand?

Peter: Nun, dem Schreiben des eigentlichen Drehbuchs ging eine mehrjährige Recherche in Ägypten, Israel und New York voraus. Für das eigentliche Ausschreiben des Drehbuchs, ausgehend von unserem schon sehr detaillierten Treatment, hatten wir uns wieder mal, diesmal für am Ende 40 „biblische“ Tage, in die Sinaiwüste zurückgezogen, bekocht von unserem einzigem Begleiter, dem jungen Beduinen Achmed. Mit seinem Kamel Sudani natürlich.

Wir hatten den Plan, den Film auch an den Spielorten der Geschichte zu realisieren, wo wir uns mittlerweile ziemlich zuhause fühlten: der Wüste Sinai, Alexandria, Jerusalem. Allerdings war mit der Abdankung von Mubarak, verrückterweise exakt am Tag der Verleihung des Drehbuchpreises, klar, dass sich in Ägypten schlagartig alles ändern würde. Völlig unklar war dagegen, wohin Ägypten nun driften würde. Der gerade beginnende „Arabische Frühling“ hat ja dann den gesamten Nahen Osten auf den Kopf gestellt, mit Umwälzungen und neuen Unsicherheiten und dem völlig unübersichtlichen Krieg in Syrien, der bis heute anhält. Das hat letztlich dazu geführt, dass wir uns schweren Herzens nach anderen Drehorte umschauen mussten. Mit dem Wadi Rum in Jordanien, das dem Sinai unserer Geschichte extrem ähnelt, sind wir aber sehr glücklich geworden. Allerdings hat es wieder Zeit gekostet, das Wadi Rum zu erkunden und die dortigen Beduinen kennenzulernen und für unser Vorhaben zu begeistern.

Stefan: Für die Umsetzung hatten wir eine klare Vision, insbesondere was Haltung und Ton des Films betrifft. Und dafür mussten wir die richtigen Partner finden. Das war ein Prozess. Es gibt in der Filmbranche sehr viele Player, die alle ihre eigenen Interessen haben. Wir fühlten uns aber nur unserer Geschichte verpflichtet. Unsere Ablehnung mancher potenzieller Partner hat einige sicher vor den Kopf gestoßen. Das ist man von „No Names“ nicht gewöhnt. Und hat uns den Ruf als „stur“ oder „schwierig“ eingebracht.

Peter: Als wir mit Fritjof (Hohagen) und seiner enigma-Film endlich eine vielversprechende Aufstellung hatten, begannen die Probleme mit der Besetzung. Wir hatten zunächst für beide Rollen nicht ganz unbekannte Darsteller, die sich aber nicht kommitten wollten, sondern scheinbar bessere Optionen offen halten wollten. Da mussten wir – zweimal – die Reißleine ziehen, was dann wieder Zeit gekostet hat.

Wie haben Sie sich auf diesen Film vorbereitet?

Peter: Die Zeit der Drehbuchentwicklung war für uns ein kleines Studium der Judaistik und Islamwissenschaften. Neben dem Verschlingen einer mittelgroßen Bibliothek haben wir immer den direkten Kontakt gesucht.

Stefan: Wir waren in der jüdischen Gemeinde von Alexandria, bei verschiedenen Beduinenstämmen im Sinai, in verschiedenen ultraorthodoxen Gemeinden in Mea Shearim/Jerusalem und New York.

Peter: Dazu haben wir auf jeder Entwickllungsstufe immer wieder die Expertise v.a. von chassidisch-jüdischer Seite eingeholt, von Rabbis und Religionswissenschaftlern, um unsere Geschichte auf Herz und Nieren prüfen zu lassen.

Wie war das Casting? Wie haben Sie diese beiden hervorragenden Protagonisten gefunden?

Stefan: Auch eine lange Geschichte mit vielen Kapiteln…! Wir hatten wie gesagt viel Pech mit den Besetzungsversuchen, was uns fast verzweifeln ließ. April 2018 hatten wir immer noch – oder wieder mal – keinen Ben – und da war wohlgemerkt der Alexandria-Teil schon gedreht! Wir beide sind dann kurzentschlossen nach NY geflogen, wieder mal billigst über Wohnungstausch und Privatzimmer, denn wenn wir dort nicht fündig würden, wo sonst, so unser Gefühl. Über den Tipp einer Passantin kamen wir auf die Doku One of Us über drei Aussteiger aus der chassidischen Community, und nach einem kurzen Blick in den Film war klar: Luzer müssen wir treffen. Über zehn Jahre alte Kontakte zu anderen Aussteigern hatten wir innerhalb von Stunden Luzers Telefonnummer und konnten ihn am nächsten Tag treffen.

Peter: Und nach wenigen Minuten war klar: Luzer ist unser Ben. Schnitt, fast ein Jahr später. Mittlerweile auf Frühjahr 2019 verschoben, wollte sich unser Darsteller des Beduinen Adel für den Hauptdreh zeitlich immer noch nicht festnageln lassen – der Supergau. Deshalb entschieden wir uns, einen anderen Darsteller zu suchen, so schwer es schien, immerhin bedeutete das die Wiederholung von 2 Drehtagen Alexandria, aber wir brauchten Planungssicherheit. Über die Jahre hatten wir auch sehr viele Filme aus der Region, arabische und israelische, angeschaut und auf potentielle Darsteller für alle möglichen Rollen durchforstet. Auf dieser Liste stand auch Haitham Omari, nach seinem Auftritt, glatt rasiert und aggressiv, in Bethlehem ursprünglich gedacht als ägyptischer Lieutenant vor der jüdischen Gemeinde. Gottseidank konnte Haitham damals nicht, und wir fanden mit Adeeb Safadi auch einen klasse Darsteller für den „scharfen Hund“. Bei nochmaliger Durchsicht und Recherche fand ich Bilder von Haitham mit Vollbart – und das passte super. Noch am gleichen Tag telefonierten wir, May, unsere Location Managerin in Palästina, hatte seine Nummer, und am Abend trafen wir uns in Ostjerusalem. Auch bei Haitham war nach wenigen Minuten klar, dass er unser Adel ist. Da waren es immerhin nur noch 6 Wochen bis Drehbeginn.

Stefan: Rückblickend haben sich alle Probleme und Verzögerungen letztlich zu unserem Vorteil gewandelt. Es hat allerdings eine Extraportion (Angst-)Schweiß und Tränen gekostet. Aber die beiden sind ein echter Glücksfall, und dass sie sich auch noch sehr gut verstanden, ist ein weiteres Geschenk.

Sie hatten einen tollen Kameramann, den Holger Jungnickel. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm? Die Wüste ist ja ein weiterer Protagonist. Wie setzt man diese in Beziehung zu den Menschen? Wie stark war dabei der Einfluß des Kameramannes?

Peter: Auch zu Holger kamen wir über widrige Umstände. Wir hatten den ersten Drehteil mit dem wunderbaren Alexander Haßkerl Dezember 2017 begonnen. Den Alexandria-Teil, den wir in Haifa drehten. Das visuelle Konzept war da noch ein anderes. Durch die v.a. darstellerbedingten Verschiebungen kollidierte die Hauptdrehzeit schließlich dummerweise mit einem anderem Projekt, bei dem Alex schon vorher im Wort stand. Wir trafen uns mit einigen Kameraleuten, entschieden uns aber ausgerechnet für den mit der kürzesten Filmografie, Holger. Und Holger war wieder ein Volltreffer! Holger ist als Kameramann nicht nur mit einem unglaublichen technischen Wissen und künstlerischem Gespür gesegnet, sondern war uns mit seinem analytischen Hirn und seiner Unermüdlichkeit auch bei der Drehplanung vor Ort extrem hilfreich.

Stefan: Für uns war die Wüste immer der dritte Hauptdarsteller. Immerhin ist sie der entscheidene Faktor der Geschichte und wirft unsere Protagonisten auf sich selbst zurück, wie sie das mit jedem macht. Das möglichst unaufdringlich einzufangen ist nicht leicht. Wir haben das auf mehreren Ebene versucht. Visuell im Wechsel von nahen Einstellungen und Supertotalen, die die Weite und Verlorenheit, aber auch die Bombastik und Archaik der Wüste vermitteln, sowie, z.T. an der Wahrnehmungsschwelle, auf der Tonebene, wo die Wüste ihre ganz eigenen Sounds und Atmosphären bekommen hat. Natürlich sind die tollen Bilder von Holger (Jungnickel) dafür total wichtig!

Dieser Film ist komplett deutsch finanziert, obwohl es keinen einzigen Drehtag in Deutschland gab. Warum war eine internationale Co-Produktion nicht möglich?

Stefan: Ursprünglich wollten wir die Handlung bzw. die drei vorkommenden Religionen auch im Produktionsansatz spiegeln, d.h. eine deutsch-arabisch-israelische Koproduktion aufstellen. Wir hatten sehr viel Zuspruch aus arabischen Ländern, auch Leute mit viel Geld fanden, dass dieser Film unbedingt gemacht werden müsse. Aber sobald ein israelischer Partner an Bord käme, wären sie auf arabischer Seite als vermeintliche Israel-Sympathisanten so angreifbar, dass sie das nicht wagten. Aus Gründen der Ausgeglichenheit wollten wir dann keine rein deutsch-israelische Koproduktion.

Sie haben ja in der Produktion auch mit Menschen aus den Ländern, in denen Sie gedreht haben, zusammengearbeitet. War das einfach, oder welche Probleme ergaben sich dabei?

Peter: Es war so, wie wir es die Jahre davor auch schon kennengelernt hatten. Menschen, die im Alltag Kontakt mit „der anderen Seite“ haben, sind recht entspannt. Denjenigen, die keine Kontakte haben, sitzen Vorurteile, geschürte Ängste und Feindbilder natürlicherweise ganz anders im Nacken. Von politischen Ebenen aller Seiten sind diese Vorbehalte natürlich erwünscht, damit die Menschen sich auseinander dividieren lassen. So kann man seine Machtinteressen am besten durchsetzen oder erhalten. Für unseren Dreh bei Jericho betraten einige israelische Schauspieler zum ersten Mal den Boden der Palästinensergebiete – mannshohe Schilder „verbieten“ israelischen Bürgern den Aufenthalt dort, da es in der Vergangenheit schon mal Zwischenfälle gab, deren Hergang immer viele Versionen hat. Das sorgt natürlich für eine anfängliche Anspannung, die sich aber schnell gelegt hat durch unsere sehr harmonische Atmosphäre im Team. Umgekehrt hat mich unser palästinensischer Line Producer gebeten, keine Schauspieler zu engagieren, die sich z.B. auf YouTube massiv für Kampagnen exponieren, die das Existenzrecht jedweden Palästinas negieren. Ich kannte solche Videos noch gar nicht. Verständlich, dass er das an sich schon nicht gut findet, aber sich auch nicht dem Vorwurf aussetzen möchte, mit diesen Hardlinern „gemeinsame Sache“ zu machen, und sei es „nur“ für einen Film. Allerdings war es für einige Araber aus Jordanien oder Palästina das erste Mal, dass sie hautnah mit jüdischen Israelis zusammengearbeitet haben, und umgekehrt. Das war eigentlich für alle sehr bereichernd, insbesondere für das gesamte deutsche Team, Länder und Leute hautnah erleben zu können. Es sind einige Freundschaften entstanden – und eine palästinensisch-deutsche Ehe.

Wie leicht oder schwer war es, Zugang zu den Menschen dort zu finden?

Stefan: Auch wenn es eine natürliche anfängliche Zurückhaltung gibt, fanden wir eigentlich überall schnell unverstellten Zugang zu den Menschen, sei es bei den Ultraorthodoxen, sei es bei den Beduinen. Wir haben immer sehr ehrlich gesagt, was wir vorhaben. Nach einigen Rückfragen war unser Gegenüber meist schnell überzeugt, dass wir keine unlauteren Absichten haben und uns unvoreingenommen und respektvoll für sie interessieren.

Deutsche Männer drehen einen Film in der Wüste über dieses Thema… Wie kam das in den arabischen Ländern und Israel an?

Peter: Wir haben bewusst keinen realistischen Ansatz, sondern eine etwas überhöhte, feinsinnige Komödie mit mehreren Ebenen gewählt. Das realpolitische Thema „Nahostkonflikt“ können Filmemacher von dort viel treffender behandeln, wie viele hervorragende arabische und israelische Filme zeigen. Unser Ansatz wirkt für Menschen, die tagtäglich in diesem Konflikt stecken, natürlich eher naiv. Dafür ist hat unsere Geschichte eine starke universelle Komponente, die alle Menschen meint, die von Geschichte und Politik zu „Feinden“ gemacht werden, aber doch eigentlich die besten Freunde sein könnten.

Warum heißt der Film „Eine göttliche Komödie?“

Stefan: Weil der (deutsche) Titel „Nicht ganz Koscher“ bereits vergeben war. Wir brauchten also eine Unterzeile. Die Tagline „eine menschliche Komödie“ hatten wir schon lange, da war es nicht mehr weit zur „göttlichen“. Zwar standen damit sowohl Balzac als auch Dante bei dem Namen Pate, aber unserer bezieht sich doch eher ganz profan auf den Inhalt des Filmes: Einer Komödie eben, die von Gott handelt.

Sie finden für diese ernsten Themen eine Leichtigkeit und humorvolle Szenen. Standen mit dem Drehbuch bereits alle Dialoge fest, oder entwickelten sich manche Dialoge auch während des Drehs?

Peter: Eigentlich standen alle Dialoge schon im Drehbuch. Vermutlich hat uns auch genau diese Mischung aus Leichtigkeit, feinem Humor und Ernst den Drehbuchpreis eingebracht. Man muss auch sagen, dass das Buch über die Jahre schon sehr gut „abgehangen“ ist.

Stefan: Natürlich gab es beim Dreh einzelne Improvisationen und Textvarianten, aber es ist nicht so, dass Dialoge oder ganze Szenen sich wesentlich vom Buch entfernt hätten.

Im Leben geht es immer darum, sich ständig zu verändern, und in diesem Fall im Speziellen: Zwei Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen lernen, aufeinander zuzugehen und die andere Kultur zu verstehen. Ein Märchen? Wie hoffnungsvoll würden Sie so eine Entwicklung in Zukunft auch im realen Leben beurteilen?

Peter: Das ist natürliche eine wunderbare Utopie. Aber wir erleben seit Längerem eine Polarisierung der Welt, einen Zuwachs an individuellem und kollektivem Egoismus, befeuert durch politische und ökonomische Machtinteressen, hier tun Utopien der Menschlichkeit, des Respekts und des Miteinander wahrlich Not.

Sie hatten zusammen Regie geführt… Das ist doch nicht einfach. Zwei kreative Männer realisieren ein gemeinsames Projekt. Welche Schwierigkeiten gab es? Und welche schönen Erfahrungen haben Sie gemeinsam gemacht?

Stefan: Wir sind zwei eigensinnige kreative Köpfe, die allerdings eine gemeinsame Vision hatten. Wir haben uns durchaus im kreativen Prozess gerieben, dass die Funken flogen, waren dann aber immer wieder überrascht, was diese Reibung hervorgebracht hat.

Peter: Beflügelt hat uns auf alle Fälle, dass bei uns sehr oft 1 + 1 mehr als 2 ergeben hat.

Ich war vor über 20 Jahren 14 Tage in der Wüste Sinai. Wir gingen mit Beduinen durch die Wüste und übernachteten unter freiem Himmel. Dies war eines meiner wichtigsten Erlebnisse in meinem Leben. Ich habe die archaischen Gesetze der Wüste kennengelernt. Was haben Sie für sich persönlich in der Wüste erfahren? Was fasziniert Sie an der Wüste? Es gibt ein arabisches Sprichwort: „Wer in die Wüste hineingeht, kommt als ein Anderer zurück.“

Stefan: Dem ist nichts hinzuzufügen.

Peter: Und wer in unserem Film war, hat auch eine kleine Wüstenreise hinter sich.

Man könnte erwarten, dass die Religionen sich mit Respekt begegnen, schließlich ist das auch ihr Anspruch in den jeweiligen Schriften. Warum ist das so schwer umzusetzen?

Peter: Da geht es Religionen wie allen Zugehörigkeiten, vom Fußballverein bis zur Hautfarbe, die man hervorragend gegeneinander ausspielen kann. Sobald Institutionen um Macht oder Vorherrschaft buhlen, wird es schwer, das allen Menschen gemeinsame Bedürfnis nach Respekt, Menschlichkeit, Frieden aufrecht zu erhalten, was ja übrigens, stimmt, esoterischer Kern aller Religionen ist.

Ihr Verleih wird mit vielen Kopien in Deutschland, Österreich und der Schweiz Anfang August in den Kinos starten. Wie geht es dann weiter? In welchen Ländern wird der Film gezeigt, in welchen wird es Schwierigkeiten geben, ihn zu zeigen?

Stefan: Vielleicht findet sich ein Weltvertrieb, der den Film in weitere Länder bringt. Natürlich haben arabische Länder und Israel wie gesagt einen ganz eigenen Blick auf unsere Geschichte und ihre Vision.

Kommt der Film auch in den Ländern ins Kino, in denen er „spielt„?

Stefan: Das kommt darauf an, ob sich lokale Verleiher für den Film interessieren. Das wäre natürlich schön.

Peter: Und sehr interessant.

Doris Dörrie: Vom Kochen und der Lebensfreude

Der weltweit geschätzte Zen-Lehrer Edward Espe Brown verbindet Kochen mit der Zen-Lehre. Im Film How To Cook Your Life begleitet die Filmemacherin Doris Dörrie den mehrfachen Kochbuchautoren bei seinen Kochkursen.

„Ein Teil der richtigen und tiefen Freude, die im Leben überhaupt möglich ist, kommt von der Verbindung mit dem Essen und dem Atem“ sagt Edward Espe Brown, der in Fairfax (Kalifornien) lebt. Doris Dörrie hat mit einem kleinen Kamerateam in seinen Kochkursen in Niederösterreich und Kalifornien gefilmt. Edward Espe Brown wurde von Suzuki Roshi zum Zen-Priester geweiht. Neben seinen Meditations- und Kochkursen, lehrt er an den drei Zen-Zentren in San Francisco.

Suzuki Roshi, Lehrer von Edward E. Brown, kam in den 60er Jahren von Japan nach San Francisco und gründete in Tassajara (Kalifornien) ein Zen-Center. Suzuki Roshi steht in der Tradition von Meister Dogen, der im 13. Jahrhundert den Buddhismus aus China nach Japan brachte. In der Küche in Tassajara wird noch heute jeden Morgen der alte Text von Meister Dogen, der Tenzokyokun Instructions for the Cook, gesungen: „Wenn du Reis wäschst, wasche den Reis. Vergeude kein einziges Reiskorn. Behandle Lebensmittel wie dein Augenlicht. Bemühe dich aufrichtig und verpasse deine Chance nicht, das Leiden zu verringern, anstatt es zu vermehren.“

Christine Weissbarth: Wie haben Sie Edward Brown kennengelernt?
Doris Dörrie: Ich habe in Tessajara (ein Zen-Zentrum in San Francisco, A.d.R.) in einem Filmworkshop unterrichtet. Zur gleichen Zeit lief Edward’s Klasse, in die ich mich reingeschummelt habe, weil ich sehen wollte, was er da macht. Ich war sofort begeistert, ebenso meine Tochter, die damals 16 Jahre alt war. Was mich wirklich überzeugt hat, war, dass er auch Teenager erreicht, die keinen Zen-Hintergrund haben. So dachte ich, es wäre schön, wenn das, was Edward unterrichtet, auch anderen Leuten zugänglich wäre. Ich halte seine Kurse für sehr außergewöhnlich, und habe ihn gleich dort gefragt, ob er Lust hätte, in einem Film mitzumachen.

Sie praktizieren Kochen als Zen-Praxis. Buddhismus in der Küche – wie sieht das ganz praktisch in Ihren Kochkursen aus?
Edward Espe Brown: Eine der wichtigsten Aspekte im Buddhismus ist es, alles bewusster anzuschauen, ohne zu bewerten, ohne in gut und böse, in richtig und falsch einzuordnen. In meinen Kochkursen fordere ich die Teilnehmer auf zu schmecken, was sie essen. Anfangs fragen sie, wonach es schmecken soll, weil die Menschen denken, es sollte so oder anders schmecken. Sie können sich nicht darauf einlassen, es einfach zu schmecken und es dabei zu belassen. Es ist also sehr wichtig, Dinge zu erfahren, wie sie wirklich sind, und nicht, wie man meint, dass sie sein sollten. Dann können wir uns am Essen erfreuen, so wie es ist und uns damit gut ernähren. Und das muss man nicht Buddhismus nennen: „Schmecke einfach, was du in den Mund nimmst und erfreue dich am Essen.“

Was haben Sie in dem Kochkurs von Edward Brown gelernt?
Doris Dörrie: Ich habe gesehen, wie wichtig es auch für Jugendliche ist, Kochtechniken zu lernen und anwenden zu können. Ich habe natürlich schon mit meiner Tochter zusammen Plätzchen gebacken und einfache Gerichte gekocht. Jedoch habe ich nun erfahren, was es für Jugendliche bedeutet, wenn sie fünf verschiedene Obstkuchen backen können. Wieviel Selbstwert sie daraus ziehen, wenn sie für andere kochen. Ich glaube, dass das etwas sehr Wichtiges ist. Sicherlich habe ich zum Teil die Gelegenheit verpasst, meiner Tochter diesbezüglich etwas beizubringen, ebenso wie ich es versäumt habe, von meiner Mutter viel zu lernen, die sehr viel besser kochen kann als ich. Mir kommt vor, als wären wir an einem historischen Zeitpunkt angelangt. Frauen wie ich haben in der Vergangenheit wenig Aufmerksamkeit darauf gelenkt, Kochtraditionen zu bewahren, Rezepte unserer Mütter und Großmütter zu erlernen und weiterzugeben. Wenn wir das nicht tun, ist wirklich innerhalb von hundert Jahren alles verloren.

Worum fürchten Sie dabei?
Doris Dörrie: Was soll denn meine Tochter dann noch weitergeben? Es ist dann weg. Ich sehe schon jetzt, was das in Amerika bedeutet. Ich kenne dort viele junge Frauen, die nicht mal ein Spiegelei braten können. Das bedeutet auch, einen Teil von sich selbst zu verlieren und ein Sich-Ausliefern an andere, die es für einen tun müssen. Ich finde das sogar bedrohlich, wenn man so ein Stück Autarkie hergibt. Wenn man diese Fähigkeit wieder erlernt, kann man sich selber auch wieder mehr in Besitz nehmen. Man gehört sich mehr und man gehört auch wieder mehr zu dem Stückchen Erde, auf dem man wohnt. Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns fragen, was jetzt gerade auf diesem Plätzchen Erde, auf dem wir uns befinden, wächst – bestimmt keine Melonen, Ananas und Bananen. Ob das so gut ist, dass man dies alles herfliegt und das Öl in die Luft bläst? Die Beschäftigung mit dem Kochen führt schnell zu diesen kritischen Fragen.

Sie kochen nun öfter mit Ihrer Tochter zusammen. Was bedeutet das für Ihre Beziehung?
Doris Dörrie: Man darf sich nicht erwarten, dass sich alles verändert, nur weil man mal ein bisschen kocht. In dem Moment des Tuns ist es schön, es entstehen vielleicht auch andere Gespräche, man verbringt Zeit anders miteinander. Meine Tochter ist ein Teenager, sie muss erst mal sehen, was sie selber lustig findet. Aber ab und zu die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen, wenn sie da ist und wir gerade hungrig sind, uns aus den vorhandenen Lebensmitteln etwas zu kochen, ist schon wichtig. Oder man geht gemeinsam zum Einkaufen, um danach zu kochen – bloß keine großen Pläne machen.

Wonach suchen die Menschen, die Ihre Kurse besuchen und wie können Sie Ihnen helfen?
Edward Espe Brown: Wir meditieren und erheben den Anspruch, uns daraus eine gute Erfahrung zu holen. Mein Lehrer Suzuki Roshi pflegte zu sagen: „Achte auf jeden Atemzug.“ Es ist also wichtig, seinen Atem anzunehmen, wie er ist, und nicht zu meinen, der Atem müsste länger, kürzer, tiefer oder ruhiger sein. Es gibt ein Wissen in dir, das dir sagt, wie dein Atem ist, wie du entspannst. Seit vielen Jahren versuche ich, mit meiner Arbeit den Menschen zu helfen, sie selbst zu werden und ihnen zu zeigen, wie sie es gut machen können. Ich kommandiere sie nicht herum und sage ihnen, sie sollen dies oder jenes machen. Den inneren Wert der Menschen zu schätzen und ihn zum Vorschein zu bringen, das ist die Aufgabe. Ebenso können wir den Wert aller Dinge entdecken, ob das jetzt Radieschen, Karotten oder Kartoffeln sind; einfach zu schätzen, was sie sind und einfach das zu sehen, was gut ist. Nehmen wir eine Kartoffel, so ist es wichtig, die Kartoffel als solche anzunehmen – helfen Sie ihr zu wachsen. Eine Kartoffel möchte nur eine Kartoffel sein und sonst nichts. Ich versuche nicht, aus der Kartoffel einen Wolkenkratzer zu machen.

Seit fünfzehn Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Buddhismus. Warum haben Sie sich für den Zen-Buddhismus entschieden und nicht für eine andere Richtung wie zum Beispiel den Tibetischen Buddhismus?
Doris Dörrie: Da ich in der protestantischen Religion aufgewachsen bin, sagt mir vermutlich Zen mehr zu, weil es kühler und nüchterner ist. Der tibetische Buddhismus ist sehr viel bildgewaltiger und opulenter, auch sehr viel ritualisierter als Zen-Buddhismus. Es ist eine innere Entscheidung, was einem mehr zusagt. Zen ist ganz unaufheblich: aufs Kissen setzen, Klappe halten und atmen. Viel mehr ist es nicht.

Wie sieht das praktisch aus? Wie können Sie als vielbeschäftigte Frau die Meditation in Ihr Leben integrieren?
Doris Dörrie: Indem ich mich auf mein Kissen setze. Das Kissen liegt bei mir immer als Aufforderung da. Natürlich schaffe ich das oft nicht. Immer wieder versuche ich mich – bei allem, was ich tue – zur Achtsamkeit aufzurufen, wie z.B. jetzt: wenn ich ein Interview gebe, gebe ich ein Interview. Und das kann man auf jede Tätigkeit beziehen. Außerdem mache ich zwischendurch Gehmeditation, auch am Drehort. Ich versuche, mir selber immer wieder einen Schneckenmodus zu verordnen, also immer wieder langsam zu werden und anzuhalten. Das gelingt mir aber nur bedingt. Der Weg in die Küche ist eine solche Möglichkeit – in Achtsamkeit eine Karotte zu schneiden ist unter Umständen nicht so weit entfernt von der Meditation.

Suzuki Roshi war Ihr Lehrer. Wie wichtig ist ein guter Lehrer?
Edward Espe Brown: Ein Lehrer hilft einem dabei, den Lehrer in sich selbst zu finden, ebenso wie er hilft, dem Teil in Einem zu begegnen, der ein guter Schüler ist. Man lernt, indem man sein Herz, seine Seele für die Welt öffnet.

Interview aus der Zeitschrift Ursache und Wirkung, Österreich