Monatliches Archiv: Juli 2017

Gräfelfinger Filmgespräch: Einmal bitte alles

Deutschland 2017 | 90 Min. | Regie: Helena Hufnagel | mit Luise Heyer, Jytte-Merle Böhrnsen, Maximilian Schafroth u.a.
Mittwoch, 02.08.2017 19:45
Filmeck Gräfelfing, Bahnhofplatz 1 / 82166 Gräfelfing

Isi (27) steckt in einer ordentlichen Quarter-Life-Crisis fest. Während sie an ihrem Traum, Illustratorin zu werden, festhält, mutiert der Rest der Welt zu veganen Erwachsenen mit perfekten Lebensentwürfen. Nur Isis Träume scheinen irgendwie ein Ablaufdatum zu besitzen. Zu gerne hätte sie einmal bitte alles! (Quelle: Offizielle Webseite)

Anschließend Diskussion mit Regisseurin Helena Hufnagel und Filmpfarrer Eckart Bruchner.

Hamburger Filmgespräch: Schlechte Erziehung (La Mala Educación)

Spanien 2004 | 106 min. | Regie: Pedro Almodóvar | mit Gael García Bernal, Fele Martínez u.a.
Mittwoch, 26.07.2017, 19:15
Metropolis, Kleine Theaterstr. 10 / 20354 Hamburg

Im Spanien der Franco-Zeit entdecken zwei Jungen – Ignacio und Enrique – Liebe, Kino und Angst in einer christlichen Schule. Ihr Schulleiter Pater Manolo ist Täter und Zeuge zugleich. Die drei begegnen sich in 70er und 80er Jahren erneut, mit gewandelten Identitäten.

Almodóvars Meisterwerk handelt von sexuellem Mißbrauch und noch viel mehr: Kreativität, Selbsttäuschung und der Sehnsucht, sich zu verlieben. Der Zuschauer darf sich seiner Sache nicht zu sicher sein, mit jeder Wendung wechselt der Film sein Genre.


Moderiert wird die Veranstaltung vom Filmemacher Franz Indra und dem Autor Stefan Preis.

Ehrenpreis für Artur Brauner

Dr. Alice Brauner und Dr. Peter Marinković, Direktor der Interfilm-Akademie
Foto: Bernd Lindenthaler

Mit dem Ehrenpreis der Interfilm-Akademie für sein Lebenswerk wurde der Produzent, Grenzgänger und Brückenbauer Artur Brauner ausgezeichnet. Die Interfilm-Akademie würdigt den von der deutschen Geschichte geprägten Lebensweg des 1918 in Polen geborenen Artur Brauner, der als Jude den Holocaust überlebte und im Land der Täter zum wichtigsten Filmproduzenten seiner Zeit wurde. Die von ihm 1946 gegründete Central Cinema Comp. Film GmbH – kurz CCC – zählte zu den größten und erfolgreichsten Filmproduktionsfirmen der deutschen Nachkriegszeit und gilt heute als das älteste, noch aktiv produzierende, unabhängige Filmunternehmen Deutschlands.
Die Laudatio hielt der Vorjahrespreisträger Prof. Heiner Stadler, er ist seit 2004 Hauptamtlicher Professor der Abteilung IV Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film München und hat den Preisträger schon vor über 40 Jahren persönlich kennengelernt.
Dr. Alice Brauner, die einen Teil der CCC-Firmengruppe seit 2007 leitet, nahm den Preis für ihren Vater entgegen, der aus gesundheitlichen Gründen leider nicht nach München kommen konnte und sich in einer Video-Botschaft bedankte:

Die feierliche Preisverleihung fand am Samstag, 1. Juli 2017, im Gasteig (Black Box) statt und wurde musikalisch umrahmt von Catarina Wendtlandt (Deutschland) am Cello, Famadi Sako (Guinea) an der Djembe und Sören Grigat (Deutschland) am Balafon.

Pressemitteilung (pdf)

PS: Im Beitrag zur Verleihung des One-Future-Preises wurden noch Fotos und ein Video ergänzt.

Gräfelfinger Filmgespräch: In Zeiten des abnehmenden Lichts

Deutschland 2017 | 100 Min. | Regie: Matti Geschonneck | mit Bruno Ganz, Alexander Fehling, Sylvester Groth u.a.
Mittwoch, 05.07.2017 19:45
Filmeck Gräfelfing, Bahnhofplatz 1 / 82166 Gräfelfing

Ostberlin, im Frühherbst 1989. Wilhelm Powileit (Bruno Ganz), hochdekoriertes SED-Parteimitglied und Patriarch der Familie, wird heute 90 Jahre alt. Für die DDR, in die er 1952 aus dem mexikanischen Exil zurückkehrte und die er aus Überzeugung mit aufbaute, naht der 40. Geburtstag – es wird der letzte sein.
Wilhelm und seine Frau Charlotte (Hildegard Schmahl), einander in inniger Verbitterung verbunden, rüsten sich für Wilhelms Ehrentag. Nachbarn, Genossen und singende Pioniere treten an, um dem Genossen Powileit zu gratulieren, Blumen zu überreichen und ihm einen weiteren Orden zu verleihen. Doch Enkel Sascha (Alexander Fehling) wird heute nicht wie gewohnt den Tisch fürs kalte Buffet aufbauen. Er ist, nur wenige Tage zuvor, in den Westen abgehauen. Die Nachricht platzt in die Festgesellschaft wie eine Bombe.
Je weiter das Fest dem Ende zugeht, umso mehr brechen sich Geheimnisse ihre Bahn… Die Veränderung ist nicht mehr aufzuhalten. Es ist die Zeit des abnehmenden Lichts. (Quelle: Verleih)

Anschließend Diskussion mit Filmpfarrer Eckart Bruchner.

One-Future-Preis 2017 an „Pure Hearts“ („Cuori Puri“)

Die Menschen unseres Jahrhunderts haben eine einzige unteilbare Zukunft – One Future. In diesem Sinne zeichnet der One-Future-Preis jedes Jahr einen Film aus dem Programm des Filmfests
München aus, der diesen Gedanken in ethisch wie filmästhetisch überzeugender Weise umsetzt. Die Interfilm-Akademie hat im Rahmen des 35. Filmfests München am 1. Juli 2017 zum 32. Mal
Auszeichnungen vergeben.

Preisträger

Der One-Future-Preis 2017 geht an den Film Pure Hearts (Cuori Puri, Italien 2017) von Roberto de Paolis.

Dr Peter Marinković und Rinaldo Talamonti, der den Preis stellvertretend entgegennahm
Foto: Bernd Lindenthaler

Begründung:
Agnese (Selene Caramazza) und Stefano (Simone Liberati) sind von Grund auf verschieden. Sie ist erst siebzehn, lebt mit ihrer streng katholischen Mutter Martha und steht kurz davor, ein Keuschheitsgelübde abzulegen – in der real existierenden Gemeinschaft Cuori Puri. Stefano ist ein 25-jähriger Mann mit heftigem Temperament und einer schwierigen Vergangenheit, der als Parkwächter arbeitet. Geld braucht er vor allem für seine Eltern, die gerade zwangsgeräumt wurden. Ihre Romanze entwickelt sich aus einer unerwarteten Begegnung heraus, die beide vom ersten Moment an mit den Fragen nach Moral und Vertrauen konfrontiert.
Roberto de Paolis vielschichtiger Debütfilm eröffnet einen intelligenten und sehr berührenden Blick auf die gesellschaftspolitischen Probleme des heutigen Italien. Zunächst scheinbar nur ein Liebesfilm über zwei junge Menschen aus sehr unterschiedlichen sozialen Milieus, nimmt der 1980 in Rom geborene Regisseur die Flüchtlingsthematik zunehmend in den Fokus. Die beiden Protagonisten – Agnese und Stefano – brechen aus einer Umgebung aus, in die sie hineingeboren wurden und die ihnen zu eng wird, um den eigenen Weg ins Leben zu finden. Agnese kommt aus katholisch-konservativen Kreisen und lebt allein mit ihrer streng katholischen, überfürsorglichen Mutter, die sie ständig kontrolliert und vor ihrem „Schicksal“ als Frau bewahren will. Stefano ist Teilzeit-Kleinkrimineller, der zu seinem Bandenfreund Lele eine stärkere Verbundenheit fühlt als zu seinen Eltern. Seine Familie gehört der Unterschicht an, die sich immer stärker an den Rand der Gesellschaft gedrängt sieht und von zunehmender Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit bedroht ist. Stefano muss erleben, wie seine Eltern aus ihrer Wohnung geworfen werden, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können, und leidet unter seinem ihn ablehnenden, arbeitslosen Vater.
Die Beziehung der beiden jungen Menschen entwickelt sich unaufdringlich vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise. Stefano verdingt sich als Wächter auf einem Parkplatz, der an eine Flüchtlingsunterkunft grenzt. Er sieht die Fremden als Parasiten und als persönliche Bedrohung. Agnese engagiert sich aufopfernd zusammen mit ihrer Mutter und ihren Freunden in ihrer Kirchengemeinde für neu ankommende Flüchtlinge. Für Agnese ist das christliche Aufgabe und Selbstzweck zugleich. In den beiden Figuren spiegelt sich eine konfliktreiche, zwiespältige Grundkonstellation im heutigen Italien wider. Auf der einen Seite steht eine Form des katholischen Italien, das sich hinter seinen „mittelalterlichen“ Ansichten und seinem Gutmenschentum verschanzt, um der Realität der Dinge beizukommen. Auf der anderen Seite steht der Teil der Gesellschaft, der stärker denn je mit wirtschaftlicher Unsicherheit konfrontiert ist und für den die Flüchtlingswelle eine real existentielle Bedrohung darstellt. Die Menschlichkeit der reinen Herzen siegt am Ende über die Spirale der Gewalt und die scheinbare Ausweglosigkeit der Alltagstristesse.

Die Jury (v.l.n.r.): Svetlana Belesova, Fatima Geza Abdollahyan, Sampaguita I. Mönck und Dr. Peter Marinković, Direktor der Interfilm-Akademie Foto: Bernd Lindenthaler

Roberto de Paolis erzählt eine Geschichte, die über die Grenzen Italiens hinaus Gültigkeit für ein Europa besitzt, das sich in seiner globalen Verantwortung, aber auch in seiner inneren gesellschaftlichen Konstellation neu orientieren muss. Die schauspielerische Leistung der beiden jungen Hauptdarsteller Selene Caramazza und Simone Liberati ist fesselnd und berührend zugleich. Facettenreich gelingt es ihnen, die feine Nuancen ihres inneren Konflikts deutlich werden zu lassen, ohne in Klischees zu verfallen. Am Ende vermitteln ihre Figuren glaubwürdig die Beweggründe ihres für sie radikalen Handelns.
„Die Menschen unseres Jahrhunderts haben eine einzige unteilbare Zukunft – One Future.“ Cuori Puri nimmt sich dem Thema an und setzt diesen Gedanken in ethisch wie filmästhetisch überzeugender Weise um. Ein junger europäischer Film, der es auf eine undidaktische Weise schafft, die Komplexität von gesellschaftlicher Situation und politischem Geschehen in unserem Nachbarland Italien zusammen zu bringen.

Der Preisträger konnte leider nicht nach München kommen, da er gerade in Barcelona dreht. Stellvertretend nahm der italienische Schauspieler Rinaldo Talamonti die Urkunde entgegen, Roberto de Paolis sandte eine Video-Botschaft:

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Pressemitteilung (pdf)