Thema: Cuori Puri

One-Future-Preis 2017 an „Pure Hearts“ („Cuori Puri“)

Die Menschen unseres Jahrhunderts haben eine einzige unteilbare Zukunft – One Future. In diesem Sinne zeichnet der One-Future-Preis jedes Jahr einen Film aus dem Programm des Filmfests
München aus, der diesen Gedanken in ethisch wie filmästhetisch überzeugender Weise umsetzt. Die Interfilm-Akademie hat im Rahmen des 35. Filmfests München am 1. Juli 2017 zum 32. Mal
Auszeichnungen vergeben.

Preisträger

Der One-Future-Preis 2017 geht an den Film Pure Hearts (Cuori Puri, Italien 2017) von Roberto de Paolis.

Dr Peter Marinković und Rinaldo Talamonti, der den Preis stellvertretend entgegennahm
Foto: Bernd Lindenthaler

Begründung:
Agnese (Selene Caramazza) und Stefano (Simone Liberati) sind von Grund auf verschieden. Sie ist erst siebzehn, lebt mit ihrer streng katholischen Mutter Martha und steht kurz davor, ein Keuschheitsgelübde abzulegen – in der real existierenden Gemeinschaft Cuori Puri. Stefano ist ein 25-jähriger Mann mit heftigem Temperament und einer schwierigen Vergangenheit, der als Parkwächter arbeitet. Geld braucht er vor allem für seine Eltern, die gerade zwangsgeräumt wurden. Ihre Romanze entwickelt sich aus einer unerwarteten Begegnung heraus, die beide vom ersten Moment an mit den Fragen nach Moral und Vertrauen konfrontiert.
Roberto de Paolis vielschichtiger Debütfilm eröffnet einen intelligenten und sehr berührenden Blick auf die gesellschaftspolitischen Probleme des heutigen Italien. Zunächst scheinbar nur ein Liebesfilm über zwei junge Menschen aus sehr unterschiedlichen sozialen Milieus, nimmt der 1980 in Rom geborene Regisseur die Flüchtlingsthematik zunehmend in den Fokus. Die beiden Protagonisten – Agnese und Stefano – brechen aus einer Umgebung aus, in die sie hineingeboren wurden und die ihnen zu eng wird, um den eigenen Weg ins Leben zu finden. Agnese kommt aus katholisch-konservativen Kreisen und lebt allein mit ihrer streng katholischen, überfürsorglichen Mutter, die sie ständig kontrolliert und vor ihrem „Schicksal“ als Frau bewahren will. Stefano ist Teilzeit-Kleinkrimineller, der zu seinem Bandenfreund Lele eine stärkere Verbundenheit fühlt als zu seinen Eltern. Seine Familie gehört der Unterschicht an, die sich immer stärker an den Rand der Gesellschaft gedrängt sieht und von zunehmender Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit bedroht ist. Stefano muss erleben, wie seine Eltern aus ihrer Wohnung geworfen werden, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können, und leidet unter seinem ihn ablehnenden, arbeitslosen Vater.
Die Beziehung der beiden jungen Menschen entwickelt sich unaufdringlich vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise. Stefano verdingt sich als Wächter auf einem Parkplatz, der an eine Flüchtlingsunterkunft grenzt. Er sieht die Fremden als Parasiten und als persönliche Bedrohung. Agnese engagiert sich aufopfernd zusammen mit ihrer Mutter und ihren Freunden in ihrer Kirchengemeinde für neu ankommende Flüchtlinge. Für Agnese ist das christliche Aufgabe und Selbstzweck zugleich. In den beiden Figuren spiegelt sich eine konfliktreiche, zwiespältige Grundkonstellation im heutigen Italien wider. Auf der einen Seite steht eine Form des katholischen Italien, das sich hinter seinen „mittelalterlichen“ Ansichten und seinem Gutmenschentum verschanzt, um der Realität der Dinge beizukommen. Auf der anderen Seite steht der Teil der Gesellschaft, der stärker denn je mit wirtschaftlicher Unsicherheit konfrontiert ist und für den die Flüchtlingswelle eine real existentielle Bedrohung darstellt. Die Menschlichkeit der reinen Herzen siegt am Ende über die Spirale der Gewalt und die scheinbare Ausweglosigkeit der Alltagstristesse.

Die Jury (v.l.n.r.): Svetlana Belesova, Fatima Geza Abdollahyan, Sampaguita I. Mönck und Dr. Peter Marinković, Direktor der Interfilm-Akademie Foto: Bernd Lindenthaler

Roberto de Paolis erzählt eine Geschichte, die über die Grenzen Italiens hinaus Gültigkeit für ein Europa besitzt, das sich in seiner globalen Verantwortung, aber auch in seiner inneren gesellschaftlichen Konstellation neu orientieren muss. Die schauspielerische Leistung der beiden jungen Hauptdarsteller Selene Caramazza und Simone Liberati ist fesselnd und berührend zugleich. Facettenreich gelingt es ihnen, die feine Nuancen ihres inneren Konflikts deutlich werden zu lassen, ohne in Klischees zu verfallen. Am Ende vermitteln ihre Figuren glaubwürdig die Beweggründe ihres für sie radikalen Handelns.
„Die Menschen unseres Jahrhunderts haben eine einzige unteilbare Zukunft – One Future.“ Cuori Puri nimmt sich dem Thema an und setzt diesen Gedanken in ethisch wie filmästhetisch überzeugender Weise um. Ein junger europäischer Film, der es auf eine undidaktische Weise schafft, die Komplexität von gesellschaftlicher Situation und politischem Geschehen in unserem Nachbarland Italien zusammen zu bringen.

Der Preisträger konnte leider nicht nach München kommen, da er gerade in Barcelona dreht. Stellvertretend nahm der italienische Schauspieler Rinaldo Talamonti die Urkunde entgegen, Roberto de Paolis sandte eine Video-Botschaft:

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Pressemitteilung (pdf)