Monatliches Archiv: Februar 2015

Parvaneh bei den Oscars

Prix Interculturel 2012 - Parvaneh 1Talkhon Hamzavi drehte Parvaneh während ihres Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste. Auf dem Internationalen Festival der Filmhochschulen München 2012 verlieh ihr die Interfilm-Akademie München dafür den Prix Interculturel. 2015 war Parvaneh für den Oscar in der Kategorie Kurzfilm nominiert. Herzlichen Glückwunsch!

Prix Interculturel 2012 - Parvaneh 2„Die junge afghanische Asylbewerberin Parvaneh und ein Mädchen aus behütetem Schweizer Hause begegnen sich angesichts einer Notlage in Zürich. Trotz ihrer Vorurteile gehen sie aufeinander zu und schließen unerwartet Freundschaft. Durch ihre subtile Darstellung der Parvaneh erzeugt besonders die Hauptdarstellerin eine große Empathie für Menschen aus unterschiedlichen Kulturen.“

Wir weigern uns Feinde zu sein

Den Nahost-Konflikt verstehen lernen – Deutsche Jugendliche begegnen Israelis und Palästinensern.

Der neue Dokumentarfilm Wir weigern uns Feinde zu sein soll Jugendliche für den Nahost-Konflikt sensibilisieren.

Zwölf deutsche Jugendliche auf einer einzigartigen Begegnungsreise durch die Krisenregion Nahost. Ihr Ziel: Menschen kennenzulernen, die sich aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt gelöst haben, die auf individuelle Weise den Weg des Dialogs und der Verständigung gehen. Mit dabei ist der HipHop-Künstler ENZ, der seine Eindrücke während der Reise mit seinen „rhythm and rhymes“ wiedergibt. Im Gepäck der 16- bis 22-Jährigen: das Schulbuch Die Geschichte des Anderen kennen lernen – Israelis und Palästinenser des Friedensforschungsinstituts PRIME in Jerusalem. Die Vorbereitung mit diesem Buch war für die Jugendlichen der Einstieg, die unterschiedlichen Sichtweisen der Konfliktparteien wahrnehmen und verstehen zu können.
Begleitet wird die Gruppe durch Israel und Palästina von einer Israelin (Tochter von Holocaust-Überlebenden) und einem Palästinenser (ehemaliger Widerstandskämpfer, der mehrere Jahre in israelischen Gefängnissen saß).

Politische Grafitti-Aktion: Gemeinsam mit zwölf Jugendlichen aus dem Münchner Umland sprüht der Hip-Hop-Künstler Enz (im Bild vorne) "no peace without dignity" auf die Grenzmauer in der Westbank...

Politische Grafitti-Aktion: Gemeinsam mit zwölf Jugendlichen aus dem Münchner Umland sprüht der Hip-Hop-Künstler Enz (im Bild vorne) „no peace without dignity“ auf die Grenzmauer in der Westbank…

Der Film ist Teil eines Medienpaketes für die Bildungsarbeit in Deutschland, Schweiz und Österreich.
Das Gesamtprojekt steht unter der Schirmherrschaft von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich und wurde von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, der Robert Bosch Stiftung und dem Auswärtigen Amt gefördert.

Wir weigern uns Feinde zu sein
von Stefanie Landgraf und Johannes Gulde
Dokumentarfilm, 89 Minuten

Terra Media Corp. Landgraf & Gulde
Bauerstr. 9 / 80796 MÜNCHEN
Tel 089 / 3543118
Email info@terramedia-online.de

Deutsch-Arabische Gesellschaft
Calvinstr. 23 D / 10557 Berlin
Tel 030 / 80941992
Email info@d-a-g.org

Burkina Faso – Zwischen gestern und morgen

Im Frühjahr 2007 begleiten Christine Weissbarth und Franz Indra im Auftrag der Interfilm-Akademie München deutsche Austausch-Schüler auf ihrer Reise durch Burkina Faso. Obwohl einer der ärmsten Staaten der Welt, gilt die Hauptstadt Ouagadougou als kulturelles Zentrum Westafrikas.
Wir erfahren nicht nur von der politischen Situation Burkina Fasos und erleben Animismus auf dem Land, sondern sehen auch das friedliche Nebeneinander von Christentum und Islam. Die Teilnehmer des Interfilm-Seminars Jeunesse et Cinema besuchen dabei auch das FESPACO, das größte Filmfest südlich der Sahara.

Zum Inhalt:

Seit Jahren gibt es Partnerschaften zwischen Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Burkina Faso, und Gauting bzw. Stockdorf bei München: in Schulen, Kirchengemeinden und ökumenischer Filmarbeit. Im Februar 2007 besuchen Schülerinnern und Schüler sowie zwei Lehrkräfte aus Gauting die Mädchenschule von Kologh Naaba, und Christine Weissbarth und Franz Indra von der Interfilm-Akademie München begleiten sie auf ihrer Reise.
Obwohl eine katholische Schule steht Kologh Naaba Schülerinnen aller Glaubensrichtungen offen, wie auch generell in Burkina Faso Christen, Moslems und Animisten friedlich zusammen leben und sogar gemeinsam ihre religiösen Feste feiern. Freilich können aufgrund der Gebühren hauptsächlich Kinder reicher Eltern an einer gut ausgestatteten Schule wie Kologh Naaba lernen. Im gemeinsamen Unterricht und in persönlichen Gesprächen lösen sich gegenseitige Klischee-Vorstellugen der Schüler auf: „Ich hatte hier Lehmhütten erwartet.“ – „Den Deutschen ist das eigene Ego am wichtigsten.“
Auf dem gleichzeitig in Ouagadougou stattfindenden FESPACO, dem größten Filmfest südlich der Sahara, veranstaltet die Interfilm-Akademie München das Seminar Jeunesse et Cinema, in dem die Schülerinnen und Schülern aus Deutschland mit Studierenden aus Ouagadougou und den jeweiligen Regisseurinnen zwei Filme diskutieren:

  • Valery Kaboré will mit Ina über das populäre Medium der Seifenoper zur Emanzipation junger Mädchen beitragen.
  • Die Dokumentation Mieux vaut mal vivre que mourir von Justine Bitagoye und Gaudiose Nininahazwe zeigt dagegen den erbarmungslosen Überlebenskampf von Kindern, die auf einer Müllkippe in Burundi leben.

Außerdem präsentiert der Filmemacher Wolf Gaudlitz mit seinem mobilen Wüstenkino im Rahmen des Festivals Filme in der Schule und einem Armenviertel Ouagadougous.
Der Deutschlehrer Yira Tiéribadin gibt in Interviews Einblicke in das kulturelle, politische und religiöse Geschehen im Land und begleitet die Gruppe in seinen Heimatort, wo wir auch das Landleben kennenlernen, über den Markt schlendern und eine abendliche Feier miterleben. Das bitterarme Leben eines Großteils der Bevölkerung wird kontrastiert durch dekadente Veranstaltungen der hauptstädtischen Elite im Rahmen des Filmfests.

Trailer (auf Vimeo ansehen)
Teil 1 (auf Vimeo ansehen) Teil 2 (auf Vimeo ansehen)
Teil 3 (auf Vimeo ansehen) Teil 4 (auf Vimeo ansehen)
Stabliste
Regie, Kamera Christine Weissbarth, Franz Indra
Schnitt Franz Indra
Produktion Interfilm-Akademie München
Idee, Redaktion Eckart Bruchner
Original-Musik Mamadou Sanou und Roland Adam
Ton-Mischung Andreas Indra
Daten
Genre Dokumentation
Länge 36’45“
Produktionsland Deutschland 2008
Sprache deutsch, französisch
Untertitel deutsch
Seitenverhältnis 4 : 3
Farbe ja
Tonverfahren Stereo
Kamera Canon XM1
Dank
Heidi Meinzolt-Depner, Projektleiterin des Schüleraustausches Gauting – Ouagadougou
Andreas Vogel, Projektmitarbeiter des Schüleraustauschs
Peter Pich
Wolf Gaudlitz
Soeur Bernardine, Schulleiterin des Collège catholique Notre Dame du Kologh Naaba
Yira Tiéribadin
Abbé Dominique Yanogo
Pierre Nikiema
Beteiligte am Austauschprojekt 2007
Schülerinnen und Schüler des Otto-von-Taube-Gymnasiums Gauting
Schülerinnen des Collège catholique Notre Dame du Kologh Naaba
Studierende der Universität Ouagadougou
Schülerinnen und Schüler der Grundschule Wend-Zoodo
Schülerinnen und Schüler des Internats bei Kombissiri
Forum Eine Welt Gauting e.V.
Afrikakreis der Evangelischen Kirchengemeinde Stockdorf
Otto-von-Taube-Gymnasium Gauting
Interfilm
SIGNIS

Farbiger Wunsch – Bunte Welt

Im Sommer 2002 hat die Interfilm-Akademie München den Dokumentarfilm Farbiger Wunsch – Bunte Welt fertiggestellt, den Niklas Bruchner Anfang 2002 im afrikanischen Burkina Faso gedreht hatte. Beim Filmfest München 2002 erlebte der Film Farbiger Wunsch – Bunte Welt im Rahmen des Seminars Filmland Afrika in Anwesenheit von verschiedenen Gästen aus Afrika seine Premiere.

Farbiger Wunsch – Bunte Welt auf Vimeo ansehen

Doris Dörrie: Vom Kochen und der Lebensfreude

Der weltweit geschätzte Zen-Lehrer Edward Espe Brown verbindet Kochen mit der Zen-Lehre. Im Film How To Cook Your Life begleitet die Filmemacherin Doris Dörrie den mehrfachen Kochbuchautoren bei seinen Kochkursen.

„Ein Teil der richtigen und tiefen Freude, die im Leben überhaupt möglich ist, kommt von der Verbindung mit dem Essen und dem Atem“ sagt Edward Espe Brown, der in Fairfax (Kalifornien) lebt. Doris Dörrie hat mit einem kleinen Kamerateam in seinen Kochkursen in Niederösterreich und Kalifornien gefilmt. Edward Espe Brown wurde von Suzuki Roshi zum Zen-Priester geweiht. Neben seinen Meditations- und Kochkursen, lehrt er an den drei Zen-Zentren in San Francisco.

Suzuki Roshi, Lehrer von Edward E. Brown, kam in den 60er Jahren von Japan nach San Francisco und gründete in Tassajara (Kalifornien) ein Zen-Center. Suzuki Roshi steht in der Tradition von Meister Dogen, der im 13. Jahrhundert den Buddhismus aus China nach Japan brachte. In der Küche in Tassajara wird noch heute jeden Morgen der alte Text von Meister Dogen, der Tenzokyokun Instructions for the Cook, gesungen: „Wenn du Reis wäschst, wasche den Reis. Vergeude kein einziges Reiskorn. Behandle Lebensmittel wie dein Augenlicht. Bemühe dich aufrichtig und verpasse deine Chance nicht, das Leiden zu verringern, anstatt es zu vermehren.“

Christine Weissbarth: Wie haben Sie Edward Brown kennengelernt?
Doris Dörrie: Ich habe in Tessajara (ein Zen-Zentrum in San Francisco, A.d.R.) in einem Filmworkshop unterrichtet. Zur gleichen Zeit lief Edward’s Klasse, in die ich mich reingeschummelt habe, weil ich sehen wollte, was er da macht. Ich war sofort begeistert, ebenso meine Tochter, die damals 16 Jahre alt war. Was mich wirklich überzeugt hat, war, dass er auch Teenager erreicht, die keinen Zen-Hintergrund haben. So dachte ich, es wäre schön, wenn das, was Edward unterrichtet, auch anderen Leuten zugänglich wäre. Ich halte seine Kurse für sehr außergewöhnlich, und habe ihn gleich dort gefragt, ob er Lust hätte, in einem Film mitzumachen.

Sie praktizieren Kochen als Zen-Praxis. Buddhismus in der Küche – wie sieht das ganz praktisch in Ihren Kochkursen aus?
Edward Espe Brown: Eine der wichtigsten Aspekte im Buddhismus ist es, alles bewusster anzuschauen, ohne zu bewerten, ohne in gut und böse, in richtig und falsch einzuordnen. In meinen Kochkursen fordere ich die Teilnehmer auf zu schmecken, was sie essen. Anfangs fragen sie, wonach es schmecken soll, weil die Menschen denken, es sollte so oder anders schmecken. Sie können sich nicht darauf einlassen, es einfach zu schmecken und es dabei zu belassen. Es ist also sehr wichtig, Dinge zu erfahren, wie sie wirklich sind, und nicht, wie man meint, dass sie sein sollten. Dann können wir uns am Essen erfreuen, so wie es ist und uns damit gut ernähren. Und das muss man nicht Buddhismus nennen: „Schmecke einfach, was du in den Mund nimmst und erfreue dich am Essen.“

Was haben Sie in dem Kochkurs von Edward Brown gelernt?
Doris Dörrie: Ich habe gesehen, wie wichtig es auch für Jugendliche ist, Kochtechniken zu lernen und anwenden zu können. Ich habe natürlich schon mit meiner Tochter zusammen Plätzchen gebacken und einfache Gerichte gekocht. Jedoch habe ich nun erfahren, was es für Jugendliche bedeutet, wenn sie fünf verschiedene Obstkuchen backen können. Wieviel Selbstwert sie daraus ziehen, wenn sie für andere kochen. Ich glaube, dass das etwas sehr Wichtiges ist. Sicherlich habe ich zum Teil die Gelegenheit verpasst, meiner Tochter diesbezüglich etwas beizubringen, ebenso wie ich es versäumt habe, von meiner Mutter viel zu lernen, die sehr viel besser kochen kann als ich. Mir kommt vor, als wären wir an einem historischen Zeitpunkt angelangt. Frauen wie ich haben in der Vergangenheit wenig Aufmerksamkeit darauf gelenkt, Kochtraditionen zu bewahren, Rezepte unserer Mütter und Großmütter zu erlernen und weiterzugeben. Wenn wir das nicht tun, ist wirklich innerhalb von hundert Jahren alles verloren.

Worum fürchten Sie dabei?
Doris Dörrie: Was soll denn meine Tochter dann noch weitergeben? Es ist dann weg. Ich sehe schon jetzt, was das in Amerika bedeutet. Ich kenne dort viele junge Frauen, die nicht mal ein Spiegelei braten können. Das bedeutet auch, einen Teil von sich selbst zu verlieren und ein Sich-Ausliefern an andere, die es für einen tun müssen. Ich finde das sogar bedrohlich, wenn man so ein Stück Autarkie hergibt. Wenn man diese Fähigkeit wieder erlernt, kann man sich selber auch wieder mehr in Besitz nehmen. Man gehört sich mehr und man gehört auch wieder mehr zu dem Stückchen Erde, auf dem man wohnt. Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns fragen, was jetzt gerade auf diesem Plätzchen Erde, auf dem wir uns befinden, wächst – bestimmt keine Melonen, Ananas und Bananen. Ob das so gut ist, dass man dies alles herfliegt und das Öl in die Luft bläst? Die Beschäftigung mit dem Kochen führt schnell zu diesen kritischen Fragen.

Sie kochen nun öfter mit Ihrer Tochter zusammen. Was bedeutet das für Ihre Beziehung?
Doris Dörrie: Man darf sich nicht erwarten, dass sich alles verändert, nur weil man mal ein bisschen kocht. In dem Moment des Tuns ist es schön, es entstehen vielleicht auch andere Gespräche, man verbringt Zeit anders miteinander. Meine Tochter ist ein Teenager, sie muss erst mal sehen, was sie selber lustig findet. Aber ab und zu die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen, wenn sie da ist und wir gerade hungrig sind, uns aus den vorhandenen Lebensmitteln etwas zu kochen, ist schon wichtig. Oder man geht gemeinsam zum Einkaufen, um danach zu kochen – bloß keine großen Pläne machen.

Wonach suchen die Menschen, die Ihre Kurse besuchen und wie können Sie Ihnen helfen?
Edward Espe Brown: Wir meditieren und erheben den Anspruch, uns daraus eine gute Erfahrung zu holen. Mein Lehrer Suzuki Roshi pflegte zu sagen: „Achte auf jeden Atemzug.“ Es ist also wichtig, seinen Atem anzunehmen, wie er ist, und nicht zu meinen, der Atem müsste länger, kürzer, tiefer oder ruhiger sein. Es gibt ein Wissen in dir, das dir sagt, wie dein Atem ist, wie du entspannst. Seit vielen Jahren versuche ich, mit meiner Arbeit den Menschen zu helfen, sie selbst zu werden und ihnen zu zeigen, wie sie es gut machen können. Ich kommandiere sie nicht herum und sage ihnen, sie sollen dies oder jenes machen. Den inneren Wert der Menschen zu schätzen und ihn zum Vorschein zu bringen, das ist die Aufgabe. Ebenso können wir den Wert aller Dinge entdecken, ob das jetzt Radieschen, Karotten oder Kartoffeln sind; einfach zu schätzen, was sie sind und einfach das zu sehen, was gut ist. Nehmen wir eine Kartoffel, so ist es wichtig, die Kartoffel als solche anzunehmen – helfen Sie ihr zu wachsen. Eine Kartoffel möchte nur eine Kartoffel sein und sonst nichts. Ich versuche nicht, aus der Kartoffel einen Wolkenkratzer zu machen.

Seit fünfzehn Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Buddhismus. Warum haben Sie sich für den Zen-Buddhismus entschieden und nicht für eine andere Richtung wie zum Beispiel den Tibetischen Buddhismus?
Doris Dörrie: Da ich in der protestantischen Religion aufgewachsen bin, sagt mir vermutlich Zen mehr zu, weil es kühler und nüchterner ist. Der tibetische Buddhismus ist sehr viel bildgewaltiger und opulenter, auch sehr viel ritualisierter als Zen-Buddhismus. Es ist eine innere Entscheidung, was einem mehr zusagt. Zen ist ganz unaufheblich: aufs Kissen setzen, Klappe halten und atmen. Viel mehr ist es nicht.

Wie sieht das praktisch aus? Wie können Sie als vielbeschäftigte Frau die Meditation in Ihr Leben integrieren?
Doris Dörrie: Indem ich mich auf mein Kissen setze. Das Kissen liegt bei mir immer als Aufforderung da. Natürlich schaffe ich das oft nicht. Immer wieder versuche ich mich – bei allem, was ich tue – zur Achtsamkeit aufzurufen, wie z.B. jetzt: wenn ich ein Interview gebe, gebe ich ein Interview. Und das kann man auf jede Tätigkeit beziehen. Außerdem mache ich zwischendurch Gehmeditation, auch am Drehort. Ich versuche, mir selber immer wieder einen Schneckenmodus zu verordnen, also immer wieder langsam zu werden und anzuhalten. Das gelingt mir aber nur bedingt. Der Weg in die Küche ist eine solche Möglichkeit – in Achtsamkeit eine Karotte zu schneiden ist unter Umständen nicht so weit entfernt von der Meditation.

Suzuki Roshi war Ihr Lehrer. Wie wichtig ist ein guter Lehrer?
Edward Espe Brown: Ein Lehrer hilft einem dabei, den Lehrer in sich selbst zu finden, ebenso wie er hilft, dem Teil in Einem zu begegnen, der ein guter Schüler ist. Man lernt, indem man sein Herz, seine Seele für die Welt öffnet.

Interview aus der Zeitschrift Ursache und Wirkung, Österreich

Jeunesse et Cinema 2007

Das interkulturelle Filmseminar Jeunesse et Cinema der Interfilm-Akademie München hat sich an Jugendliche, Schülerinnen und Schüler sowie Studierende gerichtet. Im Rahmen des Internationalen Filmfests FESPACO fand es vom 14.02. bis 24.02.2007 zum zweiten Mal in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso in Westafrika, statt. Es wurde von Abbe Dr. Dominique Yanogo (Burkina Faso), Christine Weissbarth (Österreich), Franz Indra (Deutschland) und Heidi Meinzold-Depner (Deutschland) geleitet.

Für die Zukunft ist die Verleihung eines Prix Jeunesse Afrique geplant. Grundlage sind langjährige gute Erfahrungen der Partnerschaft mit der Universität von Ouagadougou, dem Otto-von-Taube-Gymnasium Gauting und Kirchengemeinden im Würmtal (z.B. Stockdorf).

Die bisher durchgeführten Filmseminare 2001 und 2007 sowie die beiden in Burkina Faso erstellten Filmproduktionen Farbiger Wunsch – Bunte Welt und Burkina Faso – Zwischen Gestern und Morgen sind Schritte auf dem Weg zum Prix Jeunesse Afrique auf dem FESPACO. Es wurden bereits Verhandlungen in Ouagadougou, Brüssel und Berlin geführt, Verhandlungspartner sind das FESPACO, Signis, die Interfilm-Akademie München und verschiedenen Stiftungen.

Filmfest München 2013

31. Filmfest München
28. Juni bis 6. Juli 2013

Dieses Jahr fand das Münchner Filmfest erstmals unter der Leitung von Diana Iljine statt, die in die großen Fußstapfen von Eberhard Hauff und Andreas Ströhl treten mußte: Sie hat sie ganz gut ausgefüllt, es war wie gewohnt eine entspannte und gut gelaunte Woche. Auf die neuen Reihen zu Fernsehserien bzw. Computerspielen hätte man auch getrost verzichten können, das Multiplex-Kino als Festival-Zentrum wurde dagegen dankenswerterweise durch die Aufnahme weiterer altgedienter Programmkinos wie dem “City” und der “Münchner Freiheit” ersetzt. Das Poster-Motiv stammte dieses Mal von einem der letzten Kinoplakat-Maler (er nahm wie üblich ein Foto als Vorlage), das auch im etwas simplen Trailer verwendet wurde.

Filmfest München 2013 - Poster

Die Nebenveranstaltung deckten die ganze Bandbreite ab: von für größeres Publikum von Interesse (z.B. zu Filmmusik oder dem neuen Dauerbrenner Crowdfunding) über eher fachlich-intern (wie den “Self Made Shorties” mit selbst oft recht witzig gestalteten Schauspieler-Tapes zum Thema “Heimat”) bis hin zu offensichtlich absurd (Podiumsdiskussion der FDP). Neben vielen weiteren Gästen – u.a. Ulrich Tukur, Caroline Link, Michael Verhoeven, Paolo Sorrentino, Asghar Farhadi, Mike Figgis und Nicolas Winding Refn – konnte man mit Michael Caine, der den Ehrenpreis erhielt, auch wieder einen internationalen Star aufbieten.

Mit “La noche de enfrente” / “Night Across the Street” wurde quasi das Testament des 2011 verstorbenen Raoul Ruiz gezeigt. Ruiz, 1973 nach dem Pinochet-Putsch ins Exil nach Frankreich und später Portugal gezwungen, war kurz vor seinem Tod in seine Heimat Chile zurückgekehrt; La Noche zeigt denn auch den Rückblick eines alten Mannes auf sein Leben. Wir befinden uns in Südamerika: Natürlich geht es auch um den Faschismus. Auch wenn es sich um die Adaption einiger Kurzgeschichten von Hernán del Solar handelt, wirkt der Film sehr autobiographisch. Die Gleichzeitigkeit der Zeitebenen, Greis und Knabe treten nebeneinander auf, ist ein schöner Einfall und sorgt für eine entspannte Grundstimmung, obwohl der Film schon ganz in Erwartung des Todes steht. Einzig die Inszenierung der Kinder gelang dem alten Regisseur nicht so überzeugend, wie man das heutzutage erwartet.

Der eigentliche Held des Festivals war aber ein anderer Chilene, Alejandro Jodorowsky. Der erstaunlich agile 84-Jährige (!) hatte er seinen neuen Film “La danza de la realidad” im Gepäck – tatsächlich erst sein siebter (der bislang letzte datiert auf 1990). Vor allem aber hatte Jodorowsky endlich den Streit mit seinem ehemaligen Produzenten Allen Klein beigelegt und konnte damit seine alten Meisterwerke “El topo”, “Montana Sacra” und “Santa sangre” präsentieren, farbkorrigiert und auf großer Leinwand. Diese berüchtigten Klassiker des surrealen Films waren jahrzehntelang von Klein unter Verschluß gehalten worden, es gab nur einige schrabbelige VHS-Kopien, die Jodorowsky damals “großzügig an Piraten verteilt” hatte, wie er bei seinen Auftritten launig anmerkte.

Jodorowskys Filme sind wahrlich einzigartig, ein bildgewaltiger Symbol-Overkill quer durch alle Religionen und Glaubensrichtungen. Sie sprengen nicht nur das Korsett ihrer Handlung, sondern verweigern sich auch jeglicher Beschreibung. Einmal spielen Kröten und Eidechsen die Eroberung Mittelamerikas durch die Spanier nach. Seine Filme sind eine ganz eigene Erfahrung. (Empfindliche Gemüter werden freilich viele Anlässe finden, sich beleidigt zu fühlen.) Jodorowsky ist ein Mystiker, in “Montana Sacra” spielt er den Alchemisten. Frohgemut und gut gelaunt unterhielt er das Publikum bei seinen Auftritten, er ist sicher aber auch eine schwierige Persönlichkeit, die sogar das Kunststück fertig brachte, sich mit George Harrison zu zerstreiten. Sein (natürlich ergebnisloser) Ausflug nach Hollywood wäre nur eine Fußnote der Filmgeschichte, hätte er nicht während der Entwicklung von “Dune”, für den er zeitweise als Regisseur vorgesehen war, Ridley Scott und H.R Giger miteinander bekannt gemacht. Der kommerzielle Film ist heute noch sein Feindbild: “Manche wollen eben lieber ‘Iron Man 3′ sehen.”

Preise:

Arri/Osram Award
Heli
Regie: Amat Escalante

Förderpreis Neues Deutsches Kino
Regie: Jakob Lass für Love Steaks
Produktion: Ines Schiller und Golo Schultz für Love Steaks
Drehbuch: Jakob Lass, Timon Schäppi, Ines Schiller und Nico Woche für Love Steaks
Schauspiel: Lana Cooper und Franz Rogowski für Love Steaks

CineVision Award
Halley
Regie: Sebastián Hofmann
Môj Pes Killer / My Dog Killer
Regie: Mira Fornay

One Future Preis
Freedom Bus
Regie: Fatima Geza Abdollahyan
Lobende Erwähnung für Dancing In Jaffa
Regie: Hilla Medalia
Ehrenpreis: AZ-Kritikerin Ponkie

Bernd Burgemeister Fernsehpreis
Kirsten Hager für Pass gut auf ihn auf
Regie: Johannes Fabrick

Bayern 3 Publikumspreis
Freedom Bus

Kinderfilmfest-Publikumspreis
Ernest & Célestine
Regie: Benjamin Renner, Vincent Patar und Stéphane Aubier

Berlinale 2013

63. Internationale Filmfestspiele Berlin
07. bis 17. Februar 2013

Berlinale 2013 1Über Berlin (aka das Griechenland Deutschlands) gibt es ja viele Klischees, und manche werden prompt bestätigt: Es ist eiskalt, die Stadt ist riesengroß, die S-Bahn fährt nur gelegentlich – aber manchmal kriegt man ganz freundlich Auskunft, wenn man nach dem Weg fragt.

Berlin im Winter

Berlin im Winter

Gemeinsam mit den Festivals von Cannes und Venedig hat die Berlinale das Triple-A-Rating, und auch wenn es dieses Jahr – wie das öfteren angemerkt worden ist – bedenklich wenig Uraufführungen im Wettbewerb gab, wird dieser Anspruch doch erfüllt. Das Festival besitzt eine ungemeine Anziehungskraft auf Filmemacher aus aller Welt. Alleine der Talent Campus, die Plattform für den Nachwuchs, hatte Vorträge von Paul Verhoeven, Ken Loach, Ulrich Seidl, Jane Campion, Anita Ekberg, Cutter-Legende Walter Murch und vielen anderen im Programm – wo kriegt man das sonst schon geboten?

 

 

 

Immer Mangelware: Eintrittskarten

Immer Mangelware: Eintrittskarten

Das Programm vermeidet angenehmerweise eine Zersplitterung in zu viele Sektionen, dankenswerterweise gibt es auch keine Fernseh-Sparte. Die Organisation funktioniert weitgehend vorbildlich, sogar die Warteschlangen organisieren sich von selbst, ohne daß sich jemand vordrängelt. Und Schlange stehen muß man viel, auch “normales” Publikum drängt ins Kino, und nicht nur Vorführungen von großen Filmen sind regelmäßig ausverkauft – ein sehr gutes Zeichen. Manch ein Berliner stellt sich jeden Morgen von Neuem an, um keinen Festival-Tag zu verpassen (und Akkreditierte müssen das sowieso). Wenn man es dann geschafft hat, kann man sich im Kinosessel zurücklehnen und von der Jahr für Jahr gleichen beruhigenden Trailer-Musik einlullen lassen.

Culture Clash

Culture Clash

Was für Filme werden gezeigt? In den Wettbewerb ist als Zuschauer kaum hinein zu kommen, das Programm des Forum Expanded besteht zu einem guten Teil aus leicht esoterisch angehauchte Videokunst. Die meisten Filme laufen im Forum und im Panorama, wobei sich die neuen Namen eher im Panorama finden.

 

 

 

Exposed

Ein Beispiel dafür ist Exposed von Beth B, deren Zugehörigkeit zur alternativen Szene sich bereits im abgekürzten Künstlernamen spiegelt. Ihr Portrait einer Reihe von Burlesque-Tänzerinnen und -Tänzern ist formal eine recht brave Doku mit manchmal etas behelfsmäßig gefilmten Material. Interessant wird der Film auf zweierlei Art: Zum einen befinden wir uns hier wirklich im New Yorker Underground, die dargestellten Künstler sind deutlich rabiater und extremer, als man es vom aktuellen leichten Burlesque-Hype her so kennen mag (vom geleckten Glanz einer Dita von Teese ganz zu schweigen). Hier sehen wir Menschen – aus ganz unterschiedlichem Hintergrund und mit sich zum Teil direkt widersprechenden Ansichten -, die sich an einem ganzen Schwall existenzieller Probleme aufreiben oder lachend über sie triumphieren. Wie entblößend nahe die Filmemacherin ihnen kommt und mit welcher Selbstverständlichkeit ihr das gelingt, ohne jede Gefahr der Zurschaustellung, ist das andere Erstaunliche an Exposed.

Beth B (2. von rechts) präsentiert “Exposed”

Beth B (2. von rechts) präsentiert “Exposed”

Im Publikumsgespräch erinnerte sich Beth B sehr wohlwollend an einen Besuch in Berlin vor dem Mauerfall. Nach den Auswirkungen des neuen, “sauberen” New York gefragt, beklagte sie zwar einen dramatischen Einbruch der Künstlerszene seit den Siebzigern; auch die Burlesque-Shows würden oft zensiert. Trotzdem werden sich Kreativität und Anarchie natürlich nie aus New York vertreiben lassen. Auch ihren Film muß sie eher Guerilla-artig vertreiben; möge er über DVDs und Sondervorführungen noch viele Zuschauer finden.

Stemple Pass

Ein ganz anderer amerikanischer Künstler und wahrer Berlinale-Dauergast in James Benning. Nachdem er zuletzt Gefahr lief, sich zu wiederholen (13 Lakes, Ten Skies, Twenty Cigarettes), besann er sich nun wieder auf seine Anfänge und erlaubte auch das gesprochene Wort in seinem aktuellen Mammut-Projekt über den Schriftsteller Henry David Thoreau (Walden) und Theodore Kaczynski, den berüchtigten Unabomber. Beide lebten lange als Eremit in den Wäldern, ihre Hütten ließ Benning für mehrere Installationen und Filme nachbauen.

James Benning (links)

James Benning (links)

Auf der Berlinale präsentierte er Stemple Pass, der sich auf den Terroristen beschränkt. Frühling, Sommer, Herbst und Winter – zu jeder Jahreszeit sehen wir eine halbe Stunde lang die herbe Landschaft mit der Hütte darin, jeweils in der für Benning typischen unbewegten Totalen. Dazu liest er aus dem Off aus Kaczynskis Tagebuch. Die Texte steigern sich von leicht kuriosen Eingewöhnungsproblemen in die selbst gewählte Isolation über pazifistisch angehauchte Zurück-zur-Natur-Slogans hin zu erbarmungsloser Freude über die erfolgreiche Verstümmelung und Ermordung Unschuldiger. Wer mit Bennings Manierismus nichts anfangen kann, wird auch diesen Film als Qual empfinden. Selten wurde aber die Tür in die hermetisch abgeriegelte Geisteswelt des Unabombers so weit geöffnet.

A Single Shot

Kommen wir zu leichterer Kost: Ein Mann geht auf die Jagd, schießt auf ein Reh, trifft stattdessen eine junge Frau, sie stirbt sofort. Bei ihr findet er eine Tasche voller Geld. Von nun an geht es bergab.

So ließe sich im Prinzip A Single Shot von David M. Rosenthal zusammenfassen, der auf Hollywoods Noir-Revival-Welle mitschwimmt. Die ist spätestens seit Drive in vollem Gange, mit besonderem Augenmerk auf den Appalachen, siehe Killer Joe und vor allem natürlich Winter’s Bone. Die Landschaft und die Menschen darin haben nichts mit dem 21. Jahrhundert und modernen westlichen Werten zu tun, sie wirken wie ein Blick in die Vergangenheit, außerhalb der Zivilisation – der Wilde Westen, nur mit besseren Waffen, Pick-Ups und Handys. Eine ganze Gesellschaft versinkt in Armut und billigen Drogen, der Urlaub auf Hawaii (quasi dem Gegenpol innerhalb der USA) bleibt ein ferner Traum.

Volle Bühne bei “A Single Shot”

Volle Bühne bei “A Single Shot”

Die Handlung erfüllt die Genre-Erwartungen, die Atmosphäre stimmt, das Bild ist schon fast zu dunkel. Matthew F. Jones, der vor 17 Jahren den zugrunde liegenden Roman schrieb, hängt sich bei seiner Drehbuch-Adaption aber leider allzu sehr an der Plot-Konstruktion auf. Die Musik übertreibt ihre Dramatik manchmal so weit, daß sie albern wirkt, und auch bei der Bildsprache gehen der Symbolik manchmal die Pferde durch – dann ist sie wieder großartig. Schade, aus dem sehenswerten hätte ein bemerkenswerter Film werden können.

Die Schauspieler sprechen so hingebungsvoll den gewünschten Slang, daß das Publikum in London bei Test-Screenings tatsächlich Untertitel brauchte. Laut Regisseur handelt es sich bei A Single Shot um einen Independent-Film, in Europa wäre er eine Großproduktion. Bei der Vorführung war quasi die halbe Crew anwesen, neben Regisseur, Autor und Produzenten die Schauspieler Ophelia Lovibond und Jeffrey Wright sowie der Schnitt-Assistent, diverse Co-Produzenten usw. – nur Hauptdarsteller Sam Rockwell saß wegen eines Blizzards in New York fest.

Terra de ninguém / No Man’s Land

Schon wieder fast vergessen: Pola Kinskis Anklage an ihren Vater

Schon wieder fast vergessen: Pola Kinskis Anklage an ihren Vater

Die Portugiesin Salomé Lamas setzt in Terra de ninguém / No Man’s Land einen netten älteren Mann auf einen Stuhl und läßt ihn erzählen: von seiner Zeit als Söldner in Angola, im geheimen Staatsdienst als Auftragskiller an ETA-Leuten, schließlich in jahrelanger Einzelhaft. “Ich habe nur schlechte Menschen getötet. Eigentlich hätte ich auch mich töten sollen, denn ich bin auch ein schlechter Mensch.” Nichts davon ist nachweisbar, vieles erscheint glaubhaft. Die Regisseurin beklagte im Publikumsgespräch denn auch das in Portugal immer noch vorherrschende Schweigen über Greuel in den Kolonien und im Kampf gegen den Separatisten-Terror.

Unfaßbar aber ist die totale Gefühlskälte des Mannes, der seinen Lebensabend als Obdachloser verbringt. Mit geradezu kindlicher Freude erzählt er von den verübten Massakern in Afrika, lobt seine Professionalität bei den Auftragsmorden. Und immer, wenn man meint, seine Erinnerungen könnten ihn wenigstens zu einem Anflug von Schuld- oder Mitgefühl führen, bringt er einen besonders menschenverachtenden Spruch und gluckst vor sich hin. Ein Film, der Angst macht.

Paradies: Hoffnung

Die Gäste sollen sich nicht durch Schneeberge kämpfen müssen…

Die Gäste sollen sich nicht durch Schneeberge kämpfen müssen…

Nach Welt-Uraufführungen in Cannes und Venedig ist Ulrich Seidl mit seiner Paradies-Trilogie ein echter Festival-Hattrick gelungen, Paradies: Hoffnung wurde nun in Berlin gezeigt. Erst findet Mutti Gefallen an den beach boys in Kenia, dann quält sich die Tante durch ihre eifernde Frömmigkeit, schließlich wird die Tochter ins FettDiät-Camp verfrachtet: Überall kann man das Paradies finden. Die 13-jährige Melanie, gespielt von der 13-jährigen Melanie Lenz, verliebt sich heil- und hilflos in den viermal so alten Arzt. Ulrich Seidl breitet mal wieder ein Gruselkabinett der Spießigkeit aus. Die Klischees sind Wirklichkeit geworden, der Film wirkt echter als das echte Leben.

… Es ist kalt genug.

… Es ist kalt genug.

Ja, making a film with Seidl: Wie er mit Laien arbeitet, ist immer wieder erstaunlich. Seidl führt seine Figuren nie vor, er beläßt ihnen nicht nur ihre Würde, sondern macht sogar Helden aus ihnen (auch wenn das Publikum manchmal über sie lacht). Erneut hat er nur einige wenige professionelle Schauspieler wie Joseph Lorenz als Arzt besetzt, und wie natürlich all die Teenager ihre schwierigen Szenen spielen, ist schlichtweg unfaßbar. Und eigentlich ist es bei Seidl am Ende nie so schlimm, wie es zuerst scheint. Seine Filme kommen ohne katastrophale dramatische Zuspitzungen aus und ähneln auch darin der Realität. Melli, ihre durchsetzungskräftige Co-“Insassin” Verena, der von den ungelenken Annäherungsversuchen gleichermaßen geschmeichelte wie überforderte Arzt, sie alle stolpern durch ein verwirrendes Leben und versuchen, sich darin zurecht zu finden. Nie fühlt man sich als Zuschauer in der Position, über sie zu urteilen.

Im Wettbewerb geriet Paradies: Hoffnung dann doch bald in Vergessenheit, vielleicht war sein Thema einfach zu wenig skandalträchtig. Dem Publikum hat der Film jedenfalls gefallen, es klatschte mit, als zum Abspann das Motivations-Lied aus dem Film wiederholt wurde: “If you’re happy and you know it, clap your fat.”

Die Goldene Palme in Berlin? 1976 für “Taxi Driver”, aus der hervorragenden Ausstellung über Martin Scorsese in der Deutschen Kinemathek

Die Goldene Palme in Berlin? 1976 für “Taxi Driver”, aus der hervorragenden Ausstellung über Martin Scorsese in der Deutschen Kinemathek

Preise der Internationalen Jury:

Goldener Bär für den Besten Film
Poziţia Copilului / Child’s Pose
Regie: Calin Peter Netzer

Großer Preis der Jury (Silberner Bär)
Epizoda u životu beraca željeza / An Episode in the Life of an Iron Picker
Regie: Danis Tanović

Alfred-Bauer-Preis (Silberner Bär)
Vic+Flo ont vu un ours / Vic+Flo Saw a Bear
Regie: Denis Côté

Preis für die beste Regie (Silberner Bär)
David Gordon Green für Prince Avalanche
Regie: David Gordon Green

Preis für die beste Darstellerin (Silberner Bär)
Paulina García in Gloria
Regie: Sebastián Lelio

Preis für den besten Darsteller (Silberner Bär)
Nazif Mujić in Epizoda u životu beraca željezaAn Episode in the Life of an Iron Picker

Preis für das beste Drehbuch (Silberner Bär)
Jafar Panahi für Pardé / Closed Curtain
Regie: Jafar Panahi, Kamboziya Partovi

Preis für eine herausragende künstlerische Leistung aus den Kategorien Kamera, Schnitt, Musik, Kostüm oder Set-Design (Silberner Bär)
Aziz Zhambakiyev für die Kamera in Uroki Garmonii / Harmony Lessons
Regie: Emir Baigazin

Lobende Erwähnung für Promised Land
Regie: Gus Van Sant

Lobende Erwähnung für Layla Fourie
Regie: Pia Marais

Berlinale 2013 12

Filmfest Hamburg 2012

20. Filmfest Hamburg
27. September – 6. Oktober 2012
Hamburg umarmt Fatih Akin, und Kim Ki-Duk singt

Kim Ki-Duk bei der Preisverleihung; gleich wird er singen.

Kim Ki-Duk bei der Preisverleihung; gleich wird er singen.

Wenn das Wetter mitspielt, kann Hamburg auch Ende September noch sehr charmant sein. Eine angenehm wärmende Sonne und ein sanfter Windhauch laden zu Spaziergängen zwischen den Filmen ein, die ersten fallenden Blätter bereiten dem Besucher einen roten Teppich zurück ins Kino. Neben dem auf großen Festivals inzwischen anscheinend unvermeidlich gewordenen Multiplex als Massen-Abspielstätte und gesichtslosem Rahmen für die Empfänge erwies sich der Allende-Platz im Univiertel als das eigentliche Herz des 20. Filmfests Hamburg: Das angrenzende Abaton, eines der ältesten Programmkinos Deutschlands und immer noch ein großer Name, ist selbstverständlich eingebunden, auf dem (Park-)Platz selbst war das Festival-Zelt aufgebaut und mit einem kuriosen Mannhaus “gesichert”.

Das Programm selbst erwies sich als die übliche bunte Tüte: Weltkino in verschiedenen Programmblöcken (u.a. Lateinamerika,  frankophones Kino und speziell Québec sowie der übliche Verdächtige Asien), mehr oder weniger schlüssig zusammengestellte Themensektionen (Umwelt, Publikumserfolge aus Europa, Tanz), Kinder- und Fernsehfilme. Eine gewisse Übersättigung läßt sich nicht leugnen, zumal sich die Festivals trotz oder gerade wegen dieser etwas beliebig wirkenden Ausfächerung einander immer ähnlicher werden. Insbesondere die Fernsehfilme, seit Jahren auch in Berlin und München fester Bestandteil, rechtfertigen ihre Anwesenheit eher selten durch Qualität – es ist recht offensichtlich, daß damit Eitelkeiten der Branche bedient werden (und viele Gäste bereit stehen, um Diskussionsrunden und Premierenparties zu füllen).

Kaspar Hauser als DJ mit Kopfhörern – gespielt von einer Frau

Der Eingang zum Festival-Gelände mit Mann-Haus

Der Eingang zum Festival-Gelände mit Mann-Haus

Doch wird man ja nirgendwo zur Teilnahme gezwungen, und so ließen sich viele interessante Stoffe und auch einige Perlen im Programm finden. Ein echtes Kuriosum war etwa La leggenda di Kaspar Hauser / Die Legende von Kaspar Hauser des Italieners Davide Manuli, der aus der schon längst von Legendenbildung überlagerten historischen Begebenheit endgültig eine Parabel macht. Ufos fliegen über den Sheriff hinweg, dann tanzt er ein Duell auf Leben und Tod mit dem Drogendealer. Als Kaspar Hauser an den Strand gespült wird, nimmt er sich seiner an und will ihm beibringen, DJ zu werden. Doch auch die Herzogin und der Priester interessieren sich für den Knaben, der von einer Frau gespielt wird.

Es sind deutlich surreale Szenen, die in klarem Schwarz-Weiß gefilmt sind, fast immer ohne Schnitt, oft mit unbewegter Kamera. Auch die ironisch übersteigerte Kostümierung der Figuren, die ja gesellschaftliche Rollen und keine individuellen Personen darstellen, trägt ihren Teil zur starken visuellen Stilisierung bei. Am deutlichsten prägt den Film jedoch der von Vitalic beigesteuerte Elektro-Soundtrack, etliche Szenen muten geradezu wie Videoclips an. Das funktioniert erstaunlich gut, Kaspar zuckt und zappelt zu den wummernden Bässen und trägt immerzu Kopfhörer, die ihn von der Außenwelt trennen. Vincent Gallo ist in einer Doppelrolle als Sheriff und Pusher zu sehen, der eigentliche Glücksgriff ist aber die Performance-Künstlerin Silvia Calderoni als Kaspar Hauser, die der Regisseur erst direkt vor Drehbeginn gecastet hat. Sie begreift die Figur sehr körperlich, nicht Kaspars wenige gesprochenen Sätze sind entscheidend, sondern die vielen subtilen Bewegungen. Man wünscht dem Film Erfolg bei der sicher nicht aussichtsreichen Suche nach einem Verleih.

Weerasethakul ist auf dem Weg beliebig zu wirken, entwickelt dabei aber einen unwiderstehlichen Sog

Obskur wie eh und je gibt sich auch Arthouse-Liebling Apichatpong Weerasethakul, der vor einigen Jahren mit Blissfully Yours und Tropical Malady auf sich aufmerksam machte und für Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben 2010 die Goldene Palme in Cannes erhielt. Der Thailänder Weerasethakul, der sich der Einfachheit halber Joe nennen läßt, erschafft sozusagen das Gegenstück zum rasanten asiatischen Action-Kino, er gilt als Meister der langen und langsamen Einstellungen. Meistens interesiert er sich für Geschichten über Geister, so auch in Mekong Hotel, wo sie Tiere und vielleicht auch Menschen fressen. Seine Geister unterscheiden sich freilich von europäischen Gespenstern oder denen aus japanischen Gruselfilmen, die vor einiger Zeit einen großen Boom erlebten. Bei Weerasethakul können zwei Personen auf einem Bett sitzen und miteinander reden, aber deswegen müssen nicht beide als reale Menschen anwesend sein.

Das Festival-Zelt – wegen einer vorübergehenden Wettereintrübung gerade menschenleer…

Das Festival-Zelt – wegen einer vorübergehenden Wettereintrübung gerade menschenleer…

Auf eine Handlung verzichtet der Regisseur, auch auf eine Chronologie im üblichen Sinn, alles scheint gleichzeitig stattzufinden. Eine Hauptrolle spielt auf jeden Fall der Mekong, er taucht in vielen Einstellungen auf. Das unspektakuläre, fast unmerkliche Dahinströmen des Flusses ist dabei trotzdem von ungeheurer Präsenz. Auf der Tonspur liegt fast ununterbrochen eine Aufnahmesitzung mit einem Musiker, sogar inklusive Dialogbruchstücken mit dem Regisseur. Als wäre das noch nicht verwirrend genug, besteht das Bildmaterial zu großen Teilen aus Testaufnahmen für einen noch nicht realisierten Film: Weerasethakul ist bei aller angenehmen Lockerkeit auf einem nicht ungefährlichen Weg, beliebig zu wirken. Und wenn die Exotik nicht wäre – würde man manche Szenen nicht einfach langweilig finden? Wenn man sich darauf aber einläßt, entwickelt der Film trotzdem einen unwiderstehlichen Sog, man fühlt sich am Ende entspannt wie nach einer Meditations-Stunde. Mekong Hotel ist mit einer Länge von 60 Minuten für Weerasethakul eigentlich ein Capriccio und im Kino kaum unterzubringen. Er wird seinen Weg direkt ins Fernsehen und auf Sammel-DVDs finden.

Ein gutes Händchen bewies das Festival bei der Vergabe des Ehrenpreises

Andere Filme sind dagegen mittlerweile regulär angelaufen, Die Abenteuer des Huck Finn von Hermine Huntgeburth etwa und More than Honey, die Entwicklungshilfe-Doku Süßes Gift oder das etwa andere Nachkriegs-Drama Lore, das auch den Preis der Hamburger Filmkritik erhielt. Ruby Sparks von Jonathan Dayton und Valerie Faris, den Machern von Little Miss Sunshine, erweist sich als doch eher uninspirierte Pygmalion-Variation, die sich als kleines Indie-Kino tarnt. Ebenfalls ausgezeichnet wurde Ha-Mashgihim / God’s Neighbors, der innerhalb und von einer streng religiösen jüdischen Gemeinschaft gedreht wurde und bereits in Cannes einen Nebenpreis gewonnen hatte. Der Drehbuch-Preis für Gnade von Matthias Glasner mutet etwas seltsam an und liegt eventuell an der Vorauswahl. Ein gutes Händchen bewies das Festival dagegen mit der Vergabe des Ehrenpreises an das koreanische enfant terrible Kim Ki-Duk, dessen aktuelles Werk Pieta gerade eben in Venedig den Hauptpreis erhalten hatte.

Kim Ki-Duk auf dem roten Teppich; im Hintergrund Laudator Feridun Zaimoglu

Kim Ki-Duk auf dem roten Teppich; im Hintergrund Laudator Feridun Zaimoglu

Kim, der größte unter den nicht wenigen Schmerzensmännern des asiatischen Kinos, inszenierte sich selbst gnadenlos als landstreicherhafter Außenseiter und sang anstelle einer Dankesrede ein Volkslied. Das muß man sich erst einmal leisten können, es wurde aber ein berührender Moment daraus, der sich wohltuend von den üblichen formelhaften Abläufen bei Preisverleihungen unterschied. In Pieta frönt Kim weiter seiner Besessenheit von Leiden und Glaube: Wenn Mi-Son zum säumigen Schuldner kommt, bricht er Knochen, trennt Finger ab, verstümmelt Gliedmaßen, damit der Kredithai die Versicherung kassieren kann. Er ist ein geradezu animalisches Wesen, sein wertvollster Besitz ist sein Werkzeug, ein Messer. Angreifbar ist er nur – durch Liebe.

Kann die Frau, die so unvermittelt auftaucht und sich durch wirklich nichts abschütteln läßt, wirklich Mi-Sons Mutter sein, wie sie behauptet? Man mag es, ebenso wie der verlorene Sohn, irgendwann nicht mehr ausschließen. In grotesker Umkehrung der Verhältnisse bittet sie ihn um Verzeihung, Mi-Son sieht schließlich sein ganzes Lebenskonzept in Frage gestellt. Kim Ki-Duk produziert keine Splatter-Bilder, aber sehr körperliche, die darum so unangenehm sind. Die Opfer in Pieta sind alle Handwerker, ihre Maschinen eignen sich auch gut zur Zerstörung ihrer Leiber. Pieta ist ein sehr düsterer Film geworden, auch im wörtlichen Sinn, kaum ein Bild ist hell. Viele Detail-Aufnahmen, ähnlich wie im Horror-Film, verstärken das unterschwellige Unbehagen. Kim Ki-Duks Figuren sind immer extrem und unrealistisch, trotzdem bleibt ihr Verhalten nachvollziehbar. Eigentlich sind seine Filme nicht sehr kompliziert. Pieta zwingt den Zuschauer, sich seines Mensch-Seins bewußt zu werden.

Eine Dokumentation über die Atombombe und das Schlangenritual, ohne eine Explosion oder eine Schlange zu zeigen

Man beachte die Wanderschuhe!

Man beachte die Wanderschuhe!

Das Hamburger Filmfest ist ja für eine so große Stadt eigentlich eher klein. Festivalleiter Albert Wiederspiel albert bei seinen Reden herum und kokettiert ein wenig damit, unter dem Radar zu fliegen; das zumindest vermittelt er ganz sympathisch. Einige Dokumentationen hatten um die Ecke Bezüge zur Hansestadt. Snake Dance etwa mäandert um sein Thema, die Entwicklung der Atombombe, herum und betrachtet es aus ungewohnten Blickwinkeln. Zwei Orientierungsmarken gibt es dabei: Aby Warburg und Los Alamos. Der inzwischen einigermaßen vergessene Hamburger Kunsthistoriker Warburg, eigentlich ein Mitbegründer der Ikonographie, wirkt dabei fast wie ein Deuter für das Kino, das ungefähr zur gleichen Zeit entstand. Los Alamos, der spirituelle Ort, ist der Fixpunkt, zu dem der Film immer wieder zurückkehrt. Hier studierte Warburg das Schlangenritual der Hopi-Indianer, das die Versöhnung mit der Erde anstrebt; Jahrzehnte später heilte er sich durch die Arbeit an seinen Aufzeichnungen tatsächlich selbst aus einer Depression, die ihn bereits ins Sanatorium geführt hatte. Auch Robert Oppenheimer kurierte in Los Alamos seine Depressionen aus und wählte den Ort später für die jahrelange, abgeschiedene Arbeit an der Atombombe – wegen des schönen Ausblicks.

Hin und wieder stören handwerkliche Mängel, ansonsten bezieht Snake Dance klar Stellung, ohne zu agitieren. Dies ist eine Dokumentation über die Atombombe und das Schlangenritual, ohne eine Explosion oder eine Schlange zu zeigen. Überhaupt werden keine Archiv-Aufnahmen verwendet, für die Filmemacher Patrick Marnham und Emmanuel Riche schaffen die nur eine falsche Sicherheit: Der Zuschauer hat das Gefühl, das habe ich schon mal gesehen, ich weiß Bescheid.

Nicht ganz auf der Höhe zeigt sich leider Fatih Akin mit seiner Herzensangelegenheit Der Müll im Garten Eden über die Mülldeponie, die einem türkischen Dorf mit der üblichen Arroganz der Macht vor die Nase gesetzt wird. Ja, man hat so einen Film schon oft gesehen, und eigentlich interessant sind nur Details an Inhalt und Form. Manches erinnert an Stuttgart 21, nur daß hier die Menschen existenziell bedroht sind. Echte Bauern und Bäuerinnen treten auf, wie man sie hierzulande gar nicht mehr kennt – dann sieht man wieder, daß Anatolien moderner und uns viel näher ist, als oft befürchtet wird. Und die Dorfbewohner artikulieren ihre Verzweiflung mit erstaunlichem Sinn für Ironie.

Auf dem Festival spielt es aber keine große Rolle, was für einen Film er mitbringt: Hamburg umarmt Fatih Akin bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Einig wie selten treffen sich hier feine Gesellschaft und prollige Underdogs in herzlicher Zugeneigtheit. Akin hat in Hamburg eine ähnliche Wirkung auf die Menschen wie Marcus H. Rosenmüller in München: Er muß nur auf die Bühne joggen und den Mund aufmachen, schon überträgt sich seine Begeisterung auf alle Anwesenden, den Rezensenten eingeschlossen.

Eigentlich ist alles an “Beyond the Hills” unerträglich, aber es ist ein ausgezeichneter Film

Cristian Mungiu steht dagegen eher für eine grimmigere Gangart. Nach seinem mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Abtreibungsdrama 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage hat er für Beyond the Hills ebenfalls in Cannes den Preis für das beste Drehbuch erhalten, die beiden Schauspielerinnen Cosmina Stratan und Cristina Flutur teilten sich die Auszeichnung für die beste Darstellerin, völlig zu Recht. Die junge Alina besucht ihre Freundin Voichita im Kloster, sie kennen sich aus dem Waisenhaus. Alina hat eine Weile in Deutschland gearbeitet und ist kurz zurückgekehrt, weil sie ein Zeugnis braucht für einen Job auf einem Schiff. Eigentlich will sie aber Voichita abholen, deren Entschluß, Nonne zu werden, sie sowieso nicht gutheißt. Der sind das frühere Leben und die Freundschaft inzwischen fremd geworden, sie wehrt sich in gewissem Sinne sogar dagegen. Das Zeugnis wird nicht beschafft, Alina bleibt und man ahnt eine sich anbahnende Katastrophe.

Das Abaton-Kino

Das Abaton-Kino

Von der Stadt aus gesehen liegt das Kloster hinter den Hügeln, daher der Titel. Eigentlich handelt es sich dabei eher um eine Sekte, es sind nur minimale Kontakte nach draußen erlaubt, am Eingang warnt ein handgeschriebenes Schild: “Andersgläubige dürfen das Gelände nicht betreten. Frage nicht, glaube!” Priester und Mutter Oberin tragen nicht einmal Namen. Es herrscht immer geschäftiges Treiben, die Nonnen tun Dienst wie fleißige Mägde. Dennoch ist alles ineffizienter, dilettantischer Leerlauf, nichts geht voran, nichts ist im Griff. Der kaputte Ofen wird nie repariert, nur ständig neu abgedichtet, der Hund reißt sich von jeder Kette los, in den Zellen-Neubauten muß man wegen der Kälte im dicken Mantel schlafen. Voichita ist extrem passiv-aggressiv, ihr dünnes Stimmchen ist immer kurz vor dem Brechen, und wenn ihr nichts mehr einfällt, plappert sie einfach ein paar Sätze des Priesters nach. Alina ist dagegen der aktiv bis aggressive Gegenpart, doch sie hat selbst ein seelisches Problem.

Einem ausländischen Regisseur würde man wohl einen vorurteilsbehafteten Blick auf Rumänien vorwerfen: Die Gesellschaft wirkt rückständig wie im 19. Jahrhundert, alles ist ärmlich und heruntergekommen, die Gemüter sind schlicht, ja, es ist sogar Winter. Bei Mungiu muß man dagegen befürchten, daß man nahe an der Realität ist (abgesehen davon, daß der religiöse Fanatismus im Kloster den meisten Rumänen sicher genau so befremdlich vorkommen dürfte wie uns). Priester und Nonnen haben ein so kleines, abgeschlossenes Weltbild, daß alle Probleme sehr leicht erklärt werden können. Zweifel sind nicht möglich, es gibt keine persönliche Verantwortung, das macht sie so gefährlich. Vor lauter Liebe zu Gott rückt die Nächstenliebe in den Hintergrund, erscheint sogar verwerflich. Das Wunder ist, daß man sich als Zuschauer nicht dauernd schlecht oder unangenehm fühlt, denn eigentlich ist alles an diesem Film unerträglich: die Länge, die Langsamkeit, die fast ununterbrochenen Dialoge. Trotzdem kommt für keinen Moment Langeweile auf, das zeigt Mungius Können.

Xavier Dolan beweist mit Anfang Zwanzig schon mehr Reife, als die meisten ihr Leben lang erreichen

Mein persönlicher Favorit war jedoch Laurence Anyways von Xavier Dolan, der den Art Cinema Award erhielt. Es ist bereits der dritte Film des 1989 geborenen Kanadiers nach seinem Wunderkind-artigen Debut I Killed My Mother und dem ein wenig überschätzten Herzensbrecher, der sich hier einmal mehr als Spezialist für sexuelle Sonderwege erweist. Erst Ende Juni wird der Film in Deutschland anlaufen.

Am Anfang wirkt alles noch recht prätentiös, ein wildes Boheme-Leben wird zelebriert. Nach zwanzig Minuten outet sich dann der coole Lehrer und Gelegenheits-Schriftsteller Laurence seiner Lebensgefährtin Fred gegenüber, einer wilden und attraktiven Künstlerin: Er liebt Frauen, fühlt sich aber schon immer im falschen Körper und will selbst eine werden. Nach einigem Zögern entschließt sich Fred (die ironischerweise einen männlich klingenden Namen trägt), Laurence beizustehen. Es folgt ein jahrelanger emotionaler Ringkampf, die Liebe zwischen Laurence und Fred erscheint so unerreichbar wie die schwarze Insel, zu der sie immer reisen wollen.

Das erinnert ein wenig an Pedro Almodóvar, und zwar im besten Sinne. Dolan beweist mit Anfang Zwanzig schon mehr Reife, als die meisten ihr Leben lang erreichen. Unter Vermeidung von jeglichem Kitsch schafft er, daß man nie das Gefühl hat, einem Problemfilm beizuwohnen. Obwohl Laurences Problem fremd bleiben muß, erscheint es einem irgendwann völlig normal. Laurence, Fred, ihre zickige Schwester, Natalie Baye als Laurences schroffe Mutter und alle anderen Personen in diesem Film sind auf ihre Art scharfsinnig und besitzen auch dann ein Herz, wenn sie gerade gemein sind. Sie sind nicht lustig und schlagfertig wie in einer Screwball Comedy, sondern wie echte Menschen. Insbesondere Suzanne Clément verkörpert die Rolle von Fred herausragend, ist in gewissem Sinn sogar die Hauptfigur.

Trotz einiger Wiederholungen trägt Laurence Anyways auch über seine beachtliche Länge. Die gesamte letzte Stunde könnte man weglassen und hätte trotzdem einen fertigen Film. Der Regisseur will aber mehr und schafft das auch. Er dreht das Rad noch weiter, bis die Gefühle aller Beteiligten so sehr verstrickt sind, daß sie sich nie wieder auflösen lassen werden. Man fragt sich, was für Filme Dolan wohl machen wird, wenn er dreißig, vierzig, fünfzig Jahre alt ist. Bis dahin kann man einem Meister bei der Entwicklung zusehen.

Preise:

Douglas-Sirk-Preis
Kim Ki-duk

Preis der Hamburger Filmkritik
Lore
Regie: Cate Shortland | Deutschland/Australien/GB 2012

Foreign Press Award des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland
Ha-Mashgihim / God’s Neighbors
Regie: Meni Yaesh | Israel 2012

TV-Produzenten-Preis
Claudia Schröder (Aspekt Telefilm) für Mörderische Jagd
Regie: Markus Imboden | Deutschland 2012

Montblanc Drehbuch Preis
Kim Fupz Aakeson für Gnade
Regie: Matthias Glasner | Norwegen/Deutschland 2012

Art Cinema Award des Internationalen Verbands der Filmkunsttheater
Laurence Anyways
Regie: Xavier Dolan | Kanada 2012

NDR Nachwuchspreis
Germania
Regie: Maximiliano Schonfeld | Argentinien 2012

Häagen-Dazs Publikumspreis
Hvidsten Gruppen – Nogen må dø for at andre kan leve / This Life
Regie: Anne-Grethe Bjarup Riis | Dänemark 2012

Michel Preis
Blijf! / Bitte bleib!
Regie: Lourens Blok | Niederlande 2011