One-Future-Preis 2021 an „Nahschuss“
Die Menschen unseres Jahrhunderts haben eine einzige unteilbare Zukunft – One Future. In diesem Sinne zeichnet der One-Future-Preis jedes Jahr einen Film aus dem Programm des Filmfests München aus, der diesen Gedanken in ethisch wie filmästhetisch überzeugender Weise umsetzt. Die Interfilm-Akademie, dieses Jahr in ihrer neuen Rechtsform als Interfilm Academy Munich e.V., hat im Rahmen des 38. Filmfests München am 10. Juli 2021 zum 36. Mal Auszeichnungen vergeben.
Preisträger
Der One-Future-Preis 2021 geht an den Film Nahschuss (Deutschland 2021) von Franziska Stünkel aus der Reihe Neues Deutsches Kino. Der Förderpreis Neues Deutsches Kino für das beste Drehbuch ging ebenfalls an Nahschuss.
Begründung:
Mit Nahschuss gelingt der Filmemacherin und Fotokünstlerin Franziska Stünkel eine beklemmende Psychostudie über die Todesstrafe in der DDR.
Angelehnt an das Leben von Dr. Werner Teske, der 1981 als letzter Mensch in der DDR zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, erzählt Franziska Stünkel einfühlsam die Geschichte.
„Wie die Regisseurin mit ihrem brilliant aufspielenden Hauptdarsteller Lars Eidinger die gnadenlosen Mechanismen eines Unrechtsregimes ausleuchtet, ist Filmemachen auf allerhöchstem Niveau“, meint nicht nur der Chefredakteur von Blickpunkt Film. Offiziell wurde die Abschaffung der Todesstrafe der DDR erst am 17. Juli 1987 beschlossen.
Die Interfilm-Jury hat lange über diesen Film diskutiert, ob dieser nur ein zeitgeschichtlicher Rückblick ist. Nein! Nahschuss ist ein Aufruf, ein Fanal, eine Parabel für jeden Menschen, sich als Individuum nicht leichtsinnig ins jeweilige Gesellschaftssystem vorschnell einzuklinken, sondern sich immer wieder selbstkritisch zu fragen: „Wie verhalte ich mich in meinem Gesellschaftssystem? Erkenne ich rechtzeitig, wie poltische Systeme, auch westliche, ja, demokratische Systeme manipulieren?“
Nahschuss ist eine Fallstudie, die aufklärt, dass ein Weg wie der von „Franz Walter“ – parabelhaft an das Schicksal von Dr. Werner Teske angelehnt – so oder ähnlich in Gegenwart und Zukunft möglich ist und somit die Zuschauer sensibilisiert, gegen die Zerstörung des Individuums durch gesellschaftliche Eingriffe zu kämpfen.
Lobende Erwähnung
Eine lobende Erwähnung erhalten A Nuvem Rosa (Brasilien 2021) von luli Gerbasse sowie der Kinderfilm Mission Ulja Funk (Deutschland/Luxemburg/Polen 2021) von Barbara Kronenberg. Mission Ulja Funk erhielt auch den Kinder-Medien-Preis „Der weiße Elefant“ für die beste Nachwuchsdarstellerin.
Begründung für A Nuvem Rosa:
Nach einem gemeinsamen One-Night-Stand wachen Giovana und Yago auf dem Balkon von Giovanas Wohnung auf. Zeit darüber nachzudenken, wer die andere Person ist, fehlt den beiden allerdings. Durch die Stadt dröhnt ein Alarm, und in einer Durchsage wird die Bevölkerung dazu aufgefordert, in das nächste Haus zu gehen und Türen und Fenster sofort zu schließen.
Auf der ganzen Welt schweben pinkfarbene Wolken durch die Luft und töten alle Menschen nach 10 Sekunden Kontakt. So werden plötzlich Giovanna und Yago notgedrungen zu einer WG, denn niemand darf aus dem Haus. Die Quarantäne droht jahrelang zu dauern. Die Bevölkerung wird jedoch Science-Fiction-gemäß versorgt. Giovana ist ungewollt schwanger von Yago.
Die Reaktionen auf die neue Wohnsituation sind verschieden. In der „Familie mit Kind“ entwickeln sich sehr unterschiedliche, ja widersprüchliche Rollen, welche die Regisseurin Iuli Gerbasse sozialpsychologisch in ihrer Dystopie deutlich herausarbeitet.
Da der Film vor Corona entstanden ist, zeigt dieser exemplarisch nicht nur filmästhetisch, sondern auch sozial-ethisch, wie diese Zukunft angesichts einer weltumspannenden Katastrophe wie in einer „Blase“ von der Realität eingeholt werden kann, wenn sich der Mensch nicht innerlich für die Zukunft öffnet, sondern jeweils an alten Mustern und Traditionen hängen bleibt.
Im Corona-Zeitalter ist dieser Spielfilm eine Mahnung an alle, sich aktiv der Zukunft zu stellen.
Begründung für Mission Ulja Funk:
Die 12-jährige Hobbyastronomin Ulja Funk hat herausgefunden, dass in wenigen Tagen ein Asteroid in Patzschuk (Weißrußland) einschlagen wird. Doch niemand glaubt ihr.
Der Pfarrer, die Oma sowie die Mitglieder der Freikirche am Ort wollen von Wissenschaft nichts wissen. Uljas Klassenkamerad, der Auto fahren kann, ist bereit, sie dorthin zu fahren, wenn Ulja ihm in Zukunft seine Hausaufgaben schreibt. Nun beginnt ein abenteuerliches Roadmovie durch Polen bis Patzschuk, gefolgt von ihrer rußlanddeutschen Familie, dem Pastor und der halben Gemeinde. Ulja, ein außergewöhnliches Mädchen, will von gutbürgerlichen Manieren und Konventionen nichts wissen, sondern verfolgt mit großem Vertrauen in sich und die Welt ihr Ziel.
Mission Ulja Funk ist ein mutiges Projekt der Intiative „Der besondere Film“, das sein junges Publikum ernst nimmt, den Kindern etwas zutraut und manchmal auch etwas zumutet.
Was früher Pippi Langstrumpf war, könnte in Zukunft Ulja Funk sein.
Großes Kompliment an Barbara Kronenberg für Drehbuch und Regie.
Ehrenpreis
Mit dem Ehrenpreis der Interfilm-Akademie wurde der Filmproduzenten Rob Houwer (München/Amsterdam) für besondere Verdienste ausgezeichnet.
Fotos von Beate Obermann
Alle preisgekrönte Filme werden im Herbst in Münchner sowie Würmtaler Kinos bzw. Gemeindezentren gezeigt und mit dem Publikum in Anwesenheit der Filmschaffenden diskutiert.
Am Donnerstag, den 5. August, um 19:30 Uhr, findet das erste Gautinger Filmgespräch der neuen Saison in Anwesenheit der One-Future-Preisträgerin Franziska Stünkel zu ihrem Film Nahschuss im Breitwandkino Gauting statt.
2020 wurde der 35. One-Future-Preis coronabedingt auf dem Fünf-Seen-Filmfestival (FSFF) verliehen. Dieser ging an The Great Green Wall (UK) von Jared P. Scott. Eine lobende Erwähnung erhielt Corpus Christi (Polen) von Jan Komasa. Den One-Future-Ehrenpreis 2020 erhielt Matthias Helwig, Initiator des FSFF, u.a. für seine Programmarbeit in den Breitwand Kinos Gauting, Starnberg und Seefeld.
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